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Geschichte des Gens

Geschichte des Gens

Titel: Geschichte des Gens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Peter Fischer
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werden, durch Theilung sich vervielfältigen und später zu Zellen entwickelt werden könnten, gleich denen, von welchen sie herrühren.«
    Die von Darwin postulierten Gemmulae gibt es nicht; dies ist heute ebenso bekannt wie die Tatsache, dass die Körperzellen nur wenig mit der Fortpflanzung zu tun haben. Sie gelingt den Organismen mit Hilfe so genannter Keimzellen, die wir auch als Ei- und Samenzelle kennen. Die Entdeckung, dass diese Keimzellen ihren besonderen Lebensweg haben, geht auf den Freiburger Biologen August Weismann (1843-1914) zurück, der sie in seinen berühmten »Vorträgen zur Deszendenztheorie« im Jahre 1904 zum ersten Mal öffentlich vorgestellt hat. Weismann entwickelte darin auch eine Theorie der Vererbung, die von einer »Vererbungssubstanz« in den Keimzellen ausging. Sie sollte sich aus einzelnen »Elementen« zusammensetzen, die als unsichtbare »Determinanten« für die sichtbaren Erscheinungen sorgten, etwa als Determinanten von Gliedmaßen.
    So neu Weismanns Unterscheidung von Körper- und Keimzellen war, so alt blieb seine Idee einzelner wirksamer Elemente, die sich schon bei Mendel findet und so etwas wie das damalige Denken widerspiegelt. Sie findet sich in aller Klarheit bei dem holländischen Botaniker Hugo de Vries formuliert, der bereits 1889 in seinem Buch Intracellular Pangenesis erklärte, wie die Eigenschaften des Lebendigen seiner Ansicht nach zustande kommen, nämlich als »das Ergebnis unzähliger verschiedener Kombinationen und Permutationen von relativ wenigen Faktoren«. Damit lag de Vries zufolge die Aufgabe der künftigen Forschung fest. Denn »diese Faktoren sind Einheiten, welche die Wissenschaft zu erforschen hat. Wie die Physik und die Chemie auf die Moleküle und Atome zurückgehen, so haben die biologischen Wissenschaften zu diesen Einheiten durchzudringen, um aus ihren Verbindungen die Erscheinungen der lebenden Welt zu erklären.«
    Als de Vries diese Sätze schrieb, kannte er die Arbeiten Mendels noch nicht, obwohl der Augustinermönch seine heute legendären »Versuche über Pflanzen-Hybriden« mehr als dreißig Jahre zuvor vorgestellt und publiziert hatte. Es sollte noch bis zur Jahrhundertwende dauern, bis die Zunft der Vererbungsforscher erneut entdeckte, was Mendel schon 1865 bemerkt hatte: Dass es quantifizierbare Regeln gibt, mit denen die Faktoren (die noch nicht Gene hießen und statt dessen Namen wie Biophoren, Pangene und Gemmulae hatten) von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Es war dann tatsächlich das Jahr 1900, in dem gleich drei Wissenschaftler das zustande brachten, was gerne als die Wiederentdeckung der Mendel'schen Gesetze gefeiert wird. Die drei Herren heißen Hugo de Vries, Carl Correns und Erich Tschermak. Es war der Tübinger Botaniker Correns, der am besten verstand, was an den Vererbungsregeln entscheidend war, nämlich das zufällige Zustandekommen von Kombinationen aus Erbanlagen im Zellinneren. Von ihm stammt auch die verständnisvolle und eingängige Wortprägung einer »Anlage« oder »Erbanlage«, die später vom »Gen« verdrängt wurde.
    Mehr als hundert Jahre nach der Wiederentdeckung der Mendel-'schen Gesetze fällt es ziemlich leicht, von zufälligen Kombinationen zu reden, die Erbelemente (Gene) eingehen, wenn sie weitergegeben werden. Wir sind so sehr an statistische Gesetzmäßigkeiten gewöhnt, dass kaum noch vorzustellen ist, wie schwer es einmal gewesen sein muss, solche Zusammenhänge zu akzeptieren. Das Vorbild aller Wissenschaft war (und ist vielfach noch) die Newton'sche Physik, die Naturgesetze der deterministischen Art vorlegt, mit denen alles berechnet werden kann -etwa die Flugbahn der Rakete, die eine Mondfähre punktgenau auf dem Erdtrabanten absetzen soll. Wenn Gesetze dieser Art wirken, entsteht eine Sicherheit, wie sie selbst Darwin begeistert hat, der annahm, dass die »in so verzwickter Weise voneinander abhängigen Geschöpfe durch Gesetze erzeugt worden sind, die noch rings um uns wirken.« Diese Gesetze sorgen für eine natürliche Zuchtwahl, aus der »unmittelbar das Höchste hervorgeht, das wir uns vorstellen können: die Erzeugung immer höherer und vollkommener Wesen«. Allerdings ist heute klar, dass Darwins Gedanke der Evolution vor allem ein statistisches Gesetz ist, das nicht sagen kann, was die Wirkung der natürlichen Selektion in irgendeinem Einzelfall sein wird, wohl aber, dass sich Organismen, auf lange Sicht gesehen, ihren Lebensumständen anpassen werden und

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