Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
Vom Netzwerk:
Proteste der Radikalen dann aber um zwei Wochen verschoben hatte. Wahlberechtigt waren alle Männer, die das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet hatten und im Besitz der staatsbürgerlichen Rechte waren. Die Wahlbeteiligung belief sich auf 84 Prozent. Wahlsieger waren die gemäßigten Republikaner, auf die rund 500 der insgesamt 900 Sitze entfielen. Die früheren Monarchisten kamen, Legitimisten und Orleanisten zusammengenommen, auf etwa 200 Mandate. Die demokratische Linke, die sich die «Montagnards» nannte, erhielt rund 80 Sitze. Die überwiegende Mehrheit der Parlamentarier entstammte dem Bürgertum; rund die Hälfte übten freie Berufe aus. Nur 18 Abgeordnete waren nach ihren Angaben Arbeiter, 6 Werkmeister.
    Sechs Tage nach der Wahl, am 27. April 1848, verkündete die Provisorische Regierung die Abschaffung der Sklaverei in den französischen Kolonien. Am 5. Mai wählte die Konstituante eine fünfköpfige Kommission für die Exekutivgewalt; am 11. Mai wurden die Minister der neuen Regierung, allesamt gemäßigte Politiker, berufen. Die Führer der äußersten Linken waren jedoch nicht bereit, den Ausgang der Wahl und damit die neuen Machtverhältnisse zu akzeptieren. Am 15. Mai veranstalteten die Sozialisten, angeführt von Louis Blanc, Auguste Blanqui, François Raspail und dem Arbeiter Martin Alexandre, genannt Albert, eine Kundgebung für die Freiheit Polens, was jedoch nur ein Vorwand war. Das eigentliche Ziel war die Sprengung der neugewählten Nationalversammlung, die im Palais Bourbon tagte. Nachdem die Demonstranten, in ihrer Mehrheit Arbeiter aus den Nationalwerkstätten, dort eingedrungen waren, erklärte einer ihrer Anführer «im Namen des Volkes» die Konstituante für aufgelöst und die Regierung für abgesetzt. Anschließend begab sich der Zug ins Pariser Rathaus, wo die neue, von Louis Blanc geführte Regierung durch das «Volk» bestätigt werden sollte.
    Hinter dem schlecht vorbereiteten Umsturzversuch standen keine Massen und wohl nicht einmal die Mehrheit der Arbeiter, die sich guten Glaubens an der Kundgebung zugunsten Polens beteiligt hatten. Mit Hilfe der Nationalgarde konnten die Vertreter der gemäßigten Mehrheit rasch die Ordnung wiederherstellen. Die meisten der Hauptverantwortlichen des Putsches wurden festgenommen und vor Gericht gestellt; Louis Blanc, der Chef der Kommission für öffentliche Arbeiten im Palais du Luxembourg, konnte fliehen. Am 16. Mai wurde die Commission du Luxembourg aufgelöst, tags darauf General Louis-Eugène Cavaignac, der sich im Kampf gegen die aufständischen Algerier hervorgetan hatte, zum Kriegsminister ernannt.
    Das Schicksal der Nationalwerkstätten war damit besiegelt: Die Nationalversammlung sah in dem kostspieligen Versuch, die Arbeitslosen durch öffentliche Notstandsarbeiten zu beschäftigen, einen Vorgriff auf eine andere, eine sozialistische Gesellschaftsordnung, dem schleunigst Einhalt geboten werden mußte. Das galt um so mehr, als seit der Einrichtung der Ateliers nationaux Ende Februar Erwerbslose aus der Provinz in großer Zahl nach Paris geströmt waren, um dort eine vom Staat (mit einem Franc pro Tag) bezahlte Tätigkeit zu übernehmen: Im Mai überstieg die Zahl der in den Nationalwerkstätten beschäftigten Arbeiter die magische Zahl von 100.000. Daß die Demonstranten vom 15. Mai fast ausnahmslos aus diesen Werkstätten kamen, war aus der Sicht der Gemäßigten ein weiterer Grund für zügiges Handeln. Eine Kommission der Nationalversammlung verständigte sich im Juni darauf, die Ateliers innerhalb von drei Tagen zu schließen und zur früheren kommunalen Armenfürsorge zurückzukehren. Die jüngeren Arbeiter der Nationalwerkstätten sollten zum Dienst in der Armee verpflichtet werden, die über 25 Jahre alten Männer große Sumpfgebiete im Südwesten Frankreichs, in den Landes, trockenlegen.
    Am 21. Juni faßte die Kommission für die Exekutivgewalt die entsprechenden Maßnahmen in einem Dekret zusammen. Es löste im führungslos gewordenen Pariser Proletariat Wut und Empörung aus. In den Mittagsstunden des 23. Juni begann jener viertägige Aufstand, der als «Junischlacht» in die Geschichte einging. Nicht nur Arbeiter aus den Nationalwerkstätten, sondern auch Beschäftigte der Eisenbahn sowie von kleinen und mittleren Betrieben, kleine Kaufleute, Handwerksgesellen und nicht zuletzt viele Arbeiterinnen und Frauen von Arbeitern beteiligten sich an den Kämpfen. Die Zahl der Aufständischen wird auf insgesamt 40.000 bis 50.000

Weitere Kostenlose Bücher