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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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nicht an der Regierung beteiligte Partner, die Sozialisten der Richtung Jaurès angehörten; nach dem Zusammenschluß der Sozialisten zur S.F.I.O. im Jahr 1905 beschränkte sich deren Unterstützung nur noch auf einzelne Gesetzesvorhaben. In die Annalen der französischen Geschichte ist die Regierung Combes dadurch eingegangen, daß sie zielstrebig auf einen Bruch mit der katholischen Kirche hinsteuerte. Dies hatte einen wichtigen Grund darin, daß die Kirche neben der Armee die wichtigste Stütze der Antidreyfusards bildete, nach der Überzeugung der entschiedenen Republikaner aber leichter als das Militär dem Primat der Politik unterworfen werden konnte.
    Schon die Vorgängerregierung Waldeck-Rousseau hatte 1901 die Zulassung neuer Mönchsorden an eine gesetzliche Anerkennung gebunden. Das Kabinett Combes wandte die einschlägigen Bestimmungen aber sehr viel strikter an und schloß darüber hinaus die meisten der von Mönchen geleiteten Schulen. Im Juli 1903 starb Papst Leo XIII., der als kirchlicher Realpolitiker galt; der Nachfolger, Pius X., schlug einen entschieden konservativen Kurs nach Art seines Vorvorgängers, Pius’ IX., ein. Der neue Papst empfand es geradezu als feindseligen Akt, daß der Präsident der Republik Loubet Italien einen Staatsbesuch abstattete, ohne sich um eine Begegnung mit dem Oberhaupt der katholischen Kirche zu bemühen. Die Kurie protestierte gegen diese unfreundliche Geste bei allen katholischen Regierungen, woraufhin Paris im Juli 1904 die diplomatischen Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl abbrach.
    Damit stellte sich die Frage, ob die Dritte Republik das von Napoleon als Erstem Konsul 1801 geschlossene Konkordat aufrechterhalten oder aufkündigen sollte. Combes, selbst ein ehemaliger katholischer Seminarist, entschied sich 1904 für die zweite Option und damit für die Trennung von Staat und Kirche. Ein entsprechender Gesetzentwurf stieß jedoch sowohl bei Außenminister Delcassé als auch bei Präsident Loubet auf Widerspruch: ein Umstand, der mit dazu beitrug, daß Combes im Januar 1905 seinen Rücktritt erklärte. Das Kabinett seines Nachfolgers Maurice Rouvier von der Alliance Républicaine Démocratique bedeutete einen Ruck nach rechts, was auch daran lag, daß die Sozialisten der Richtung Jaurès von der Internationale mit Erfolg gedrängt worden waren, von der parlamentarischen Unterstützung des Kabinetts Combes und aller folgenden bürgerlichen Regierungen abzulassen. Die gouvernementale Mehrheit war dadurch äußerst knapp geworden.
    Unter Rouvier wurde Combes’ Gesetzentwurf zur Trennung von Staat und Kirche etwas entschärft. Eine maßgebliche Rolle spielte dabei als parlamentarischer Berichterstatter der ehedem radikale Sozialist Aristide Briand, der sich bei dieser Gelegenheit erstmals als Mann der Versöhnung und des Ausgleichs präsentierte. Das Ergebnis war das Gesetz vom 5. Dezember 1905. Die staatliche Besoldung der Geistlichen wurde beendet, die freie Ausübung der Religion aber garantiert. Kirchen und Priesterseminare sollten dem Staat beziehungsweise den Gemeinden gehören, aber neu zu schaffende Kulturvereinigungen, denen auch Priester angehören durften, kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Über Konflikte, die sich daraus ergaben, hatte der Staatsrat, ein weltliches, von laizistischen Juristen beherrschtes Gremium, zu entscheiden.
    Massiver Widerstand seitens der Kirche und der kirchentreuen Katholiken war voraussehbar. Um die Verwaltung der Kirchengüter durch die Kulturvereinigungen sicherzustellen, mußten Staatskommissare eine Bestandsprüfung vornehmen, und ebendies stieß auf heftigen Protest der Gläubigen. Die innenpolitischen Spannungen, die das Gesetz über die Trennung von Staat und Kirche hervorrief, waren nach dem Urteil von Charles Bloch noch schärfer, und sie reichten weiter als die Polarisierung durch die Dreyfus-Affäre. «Damals hatte praktisch nur in Paris und in einigen Großstädten Erregung geherrscht; jetzt brach der Konflikt auch in den Kleinstädten und auf dem flachen Land aus, wo die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung wohnte. Der Kampf zwischen dem Priester und dem – im allgemeinen linksstehenden und antiklerikalen – Volksschullehrer in den meisten Dörfern war sprichwörtlich.» Präsident Loubet, der 1899 als Dreyfusard gewählt worden war, verzichtete, da er eine strikte Durchführung des Gesetzes für unverantwortbar hielt, auf eine zweite Amtszeit. Zu seinem Nachfolger wählte eine linke Mehrheit der

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