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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Nationalversammlung, zu der zum Zweck der Präsidentenwahl Senat und Deputiertenkammer vereinigt wurden, im Januar 1906 den bisherigen Senatspräsident Armand Fallières.
    In den folgenden Wochen eskalierte, ausgelöst durch «Vehementer Nos», eine schroff formulierte Enzyklika, der Konflikt zwischen Staat und Kirche. Er entlud sich vielerorts in blutigen Zusammenstößen, in deren Verlauf auch ein Todesopfer zu beklagen war. Am 7. März 1906 stürzte darüber die Regierung Rouvier. Im nachfolgenden Kabinett Fernand Sarrien war Clemenceau der starke Mann, Briand übernahm das Ministerium für Unterricht und Kultus. Im Machtkampf vom Frühjahr 1906 ging es, trotz der erwähnten, von der C.G.T. gesteuerten Protestaktionen der Arbeiter, vor allem um den Konflikt zwischen der Dritten Republik und der römischen Kirche. Die antiklerikale Linke gewann mit über 400 Abgeordneten eine sichere Mehrheit, der auch 54 Deputierte der S.F.I.O. und 20 Unabhängige Sozialisten wie Briand und Viviani zuzurechnen waren. Auf die rechte Opposition aller Schattierungen entfielen nur 180 Mandate.
    Im Sommer 1906 spitzte sich der französische Kulturkampf durch eine neue Enzyklika Pius’ X. abermals zu. In «Gravissime officio» wies der Papst jeden Kompromiß mit der französischen Regierung entschieden zurück. Im Dezember 1906 mußte der letzte Vertreter des Vatikans Paris verlassen; einige besonders militante Geistliche wurden ausgewiesen. Unter dem Kabinett Clemenceau, das vom Oktober 1906 bis Juli 1909 im Amt war, setzte sich bei den Regierenden die Einsicht durch, daß gewisse Zugeständnisse an die Kirche die Staatsautorität nicht schwächen, sondern stärken würden. Auf Betreiben von Kulturminister Briand wurde die Anwendung des Gesetzes vom Dezember 1905 gemildert. Obwohl die Katholiken, anders als Protestanten und Juden, keine Kultusvereinigungen bildeten, wurden viele Kirchen den Priestern von den Gemeinden kostenlos «vermietet»; die Seminare blieben meist unangetastet.
    Seit 1908 trat im französischen Kulturkampf eine äußere Beruhigung ein. Zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Gläubigen und Staatsorganen kam es nur noch selten. Die katholische Kirche Frankreichs wurde durch die Streichung aller staatlichen Leistungen materiell geschwächt, aber dank freiwilliger Beiträge der Gläubigen und großzügiger Spenden von Privatleuten konnte sie sich als öffentliche Institution behaupten. Ihr Einfluß auf das Schulwesen, und namentlich auf die Volksschulen, ging weiter zurück. Sie hatte mit ihrer Gegnerschaft zu allem, was liberal und links war, die laizistischen Kräfte herausgefordert; durch das Engagement des Klerus auf Seiten der Antidreyfusards war sie mehr denn je Teil der «nationalen» Opposition gegen die Dritte Republik geworden. Die wenigen bekennenden Katholiken, die sich in der Dreyfus-Affäre auf die Seite der Demokratie gestellt hatten, gerieten durch die Trennungspolitik in einen Zustand völliger Isolierung und wandten sich teilweise wieder dem klerikalen Lager zu. Die Mehrheit der kirchentreuen Katholiken stand ohnehin rechts; nicht wenige schlossen sich nach 1905, ungeachtet der «heidnischen» Neigungen von Charles Maurras, der Action française an.
    Begonnen hatte der französische Kulturkampf ein Vierteljahrhundert zuvor in der «République opportuniste» unter Jules Ferry in den frühen achtziger Jahren, als in Deutschland die Beilegung des Konflikts mit der katholischen Kirche bereits in vollem Gange war. Das Gesetz über die Trennung von Staat und Kirche, mit dem der französische Kulturkampf seinen legislativen Abschluß fand, wurde im gleichen Jahr verabschiedet, in dem sich in Italien mit der Milderung des kirchlichen Wahlboykotts eine Entspannung im Verhältnis zwischen Staat und Kirche abzuzeichnen begann. Der radikale Schnitt, den die «République radicale» mit dem Gesetz vom Dezember 1905 vollzog, war mehr als eine «Revision der Revision» des revolutionären Antiklerikalismus durch Napoleon: Das Trennungsgesetz beendete die jahrhundertealte Tradition des französischen Staatskirchentums in Gestalt des Gallikanismus, der die Geschichte des Landes vor wie nach 1789 nachhaltig geprägt hat.
    Mit der Trennung von Staat und Kirche hatte die Dritte Republik ihr wichtigstes kulturpolitisches Ziel erreicht. Sie war mit der Annullierung des Konkordats von 1801 zu den Ideen von 1789 zurückgekehrt, und keine Partei erfüllte das mit größerer Genugtuung als die Radicaux, die sich seit

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