Geschichte des Westens
Herrn». Schmitt verlangte beijedem Zitat aus der Schrift eines Juden, wenn es denn überhaupt angeführt werden müsse, die jüdische Herkunft des Autors zu vermerken, und gab seiner Hoffnung Ausdruck, daß «schon von der bloßen Nennung des Wortes ‹jüdisch› … ein heilsamer Exorzismus ausgehen» werde.
Schmitts Rede war eine Mischung aus tiefsitzender Abneigung gegenüber dem Judentum und opportunistischem Kotau vor den Herrschenden. Doch er zog aus seinem Unterwerfungsakt keinen Nutzen. Anfang Dezember 1936 griff «Das Schwarze Korps», das Organ der SS, angeregt durch Kritik aus der deutschen Emigration, Schmitt wegen seiner früheren Verbindungen zu Juden, seiner Nähe zum politischen Katholizismus und seiner Gegnerschaft zum Nationalsozialismus in der Zeit vor 1933 scharf an. Schmitt verlor seine politischen Ämter, mit Ausnahme der Mitgliedschaft im Preußischen Staatsrat, die er Göring verdankte, behielt aber die Professur. Dem «Dritten Reich» war er weiterhin, bis in den Zweiten Weltkrieg hinein, durch seine Veröffentlichungen verbunden.
Die Intellektuellen, die 1933 Deutschland nicht verlassen, aber auch keine Wendung zum Nationalsozialismus vollzogen hatten, fanden sich in der «inneren Emigration» wieder. Zu ihnen gehörten einige der bekanntesten Schriftsteller, darunter Ernst Jünger, Ricarda Huch, Reinhold Schneider, Ernst Wiechert und Werner Bergengruen. Soweit sie sich nicht offen politisch äußerten, konnten sie auch publizieren. Selbst verfremdete Kritik am Nationalsozialismus passierte mitunter die Zensur: so Bergengruens «Der Großtyrann und das Gericht» von 1935 und Jüngers «Auf den Marmorklippen» von 1939. Die Literatur der inneren Emigration wurde gelesen, aber von der Parteipresse totgeschwiegen. Offiziell gaben andere Schriftsteller den Ton an: Hans Friedrich Blunck zum Beispiel, Autor norddeutscher Mythenprosa und zeitweiliger Präsident der Reichsschrifttumskammer, Hans Grimm, Verfasser des Kolonialromans «Volk ohne Raum», und Werner Beumelburg, Autor von Romanen, die das «Kriegserlebnis» der Jahre 1914 bis 1918 verklärten.
Die «innere Emigration» blieb ein Phänomen der mittleren und älteren Generation. Jüngere Intellektuelle neigten dazu, im Nationalsozialismus die Kraft einer umfassenden Erneuerung der Nation zu sehen – oder ihn dazu zu machen. In den Schaltstellen der SS, ihres Sicherheitsdienstes, des SD, und der Gestapo saßen Mitte der dreißigerJahre junge Akademiker, die ihr Studium in der «Systemzeit», der Weimarer Republik, absolviert hatten – Männer wie der 1903 geborene Mainzer Beamtensohn und Jurist Werner Best, der der Geheimen Staatspolizei als Organisator, Personalchef, Justitiar und Ideologe diente.
Das «Kriegserlebnis» der jungen nationalsozialistischen Technokraten waren die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen in Deutschland zwischen 1919 und 1920 und von 1930 bis 1933, vor allem aber die Kämpfe um Oberschlesien und während der Ruhrbesetzung von 1923. Die jungen nationalsozialistischen Intellektuellen waren geprägt vom völkischen Nationalismus und entschlossen, mit den Mitteln des totalen Staates eine rassisch homogene Volksgemeinschaft aufzubauen. Die Ausschaltung von «Bolschewisten», «Marxisten» und anderen Staatsfeinden war ihr Verantwortungsbereich, und sie waren auf diesem Gebiet seit 1933 ein gutes Stück vorangekommen. Die Ausschaltung der Juden aber war eine noch weithin ungelöste Aufgabe. Die jungen Akademiker in SS, SD und Gestapo, die der Historiker Michael Wildt als «Generation des Unbedingten» charakterisiert hat, wußten das, und sie arbeiteten an einer Lösung.
Theoretisch hätte eine forcierte Auswanderung aus Deutschland eine «Lösung der Judenfrage» im nationalsozialistischen Sinn sein können. Ein Versuch in dieser Richtung wurde tatsächlich schon 1933 unternommen. Im August jenes Jahres schloß das Reichwirtschaftsministerium mit zionistischen Vertretern aus Deutschland und Palästina das «Haavarah-Abkommen», das es jüdischen Emigranten erleichterte, einen Teil ihres Vermögens indirekt nach Palästina zu transferieren (einen anderen Teil eignete sich das Deutsche Reich an, das überdies mehr Waren als bisher in Palästina absetzen konnte). Für die meisten der 60.000 Juden, die zwischen 1933 und 1939 nach Palästina auswanderten, bedeutete das Abkommen eine gewisse materielle Hilfe. Von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen erforderte jedoch erhebliche Geldmittel, über die nur ein
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