Geschichte des Westens
Keynes 1936 seine «Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes» vorlegte, meinte er im Vorwort der noch im gleichen Jahr erschienenen deutschen Ausgabe des Buches, daß seine allgemeine Theorie der Produktion als Ganzes viel leichter an «die Verhältnisse eines totalen Staates» angepaßt werden könne als die klassische Theorie, die auf den freien Wettbewerb abstelle. In der Tat war der Staat im nationalsozialistischen Deutschland während der Weltwirtschaftskrise in viel höherem Maß als Investor aufgetreten als in irgendeinem anderen kapitalistischen Land, hatte also jene «ziemlich umfassende Verstaatlichung der Investition» betrieben, die Keynes als Mittel zur Belebung der Konjunktur empfahl.
Doch fast die Hälfte (47 Prozent) des volkswirtschaftlichen Wachstums der Jahre 1936 bis 1938 war direkt auf die Anhebung der öffentlichen Militärausgaben zurückzuführen. Nimmt man die Investitionen hinzu, die stark durch die Prioritäten der Autarkie- und Rüstungsmaßnahmen bestimmt waren, so kommt man nach der Analyse von Adam Tooze auf einen Zweidrittelanteil (67 Prozent) von unmittelbar und mittelbar militärischen Staatsinvestitionen. Der private Konsum war zwischen 1935 und 1938 nur für 25 Prozent des Wachstums verantwortlich, obwohl er noch 1935 für 70 Prozent aller volkswirtschaftlichen Aktivitäten gesorgt hatte. Von allen Waren und Dienstleistungen, die der Staat abnahm, entfielen 1935 70 und drei Jahre später80 Prozent auf die Wehrmacht. Keynes, der in seiner antizyklischen Konjunkturpolitik ein Stück Friedenspolitik sah, begründete diese optimistische Annahme damit, daß kriegerische Expansion nicht mehr erforderlich sein würde, wenn Vollbeschäftigung durch «Inlandspolitik» zu erreichen sei. Die Wirtschaftspolitik des nationalsozialistischen Deutschland «keynesianisch» zu nennen, wie das immer wieder geschieht, heißt daher die politische Botschaft von Keynes zu ignorieren.
Zum Zeitpunkt des «Parteitags der Ehre» hatte Hitler seinen geheimen Zeitplan für die Vorbereitung des Krieges bereits ausgearbeitet. Seine im August 1936 verfaßte Denkschrift zum Vierjahresplan ging von denselben geostrategischen Maximen aus, die er schon in «Mein Kampf» dargelegt hatte: «Seit dem Ausbruch der Französischen Revolution treibt die Welt in immer schärferem Tempo in eine neue Auseinandersetzung, deren extremste Lösung Bolschewismus heißt, deren Inhalte und Ziel aber nur die Beseitigung und Ersetzung der bislang führenden Gesellschaftsschichten der Menschheit durch das international verbreitete Judentum ist. Kein Staat wird sich dieser geschichtlichen Auseinandersetzung entziehen oder auch nur fernhalten können.
Seit sich der Marxismus durch seinen Sieg in Rußland eines der größten Reiche der Welt als Ausgangsbasis für seine weiteren Operationen geschaffen hat, ist diese Frage zu einer bedrohlichen geworden. Einer in sich selbst weltanschaulich zerrissenen demokratischen Welt tritt ein geschlossener autoritärer weltanschaulich fundierter Angriffswille entgegen.
Die militärischen Machtmittel dieses Angriffswillens steigern sich dabei von Jahr zu Jahr.»
Deutschland war wie immer der «Brennpunkt der abendländischen Welt gegenüber den bolschewistischen Angriffen». Ein
«Sieg des Bolschewismus über Deutschland würde nicht zu einem Versailler Vertrag führen, sondern zu einer endgültigen Vernichtung, ja Ausrottung des deutschen Volkes … Gegenüber der Notwendigkeit der Abwehr dieser Gefahr haben alle anderen Erwägungen als gänzlich belanglos in den Hintergrund zu treten … Das Ausmaß und das Tempo der militärischen Auswertung unserer Kräfte können nicht groß und nicht schnell genug gewählt werden! … Wenn es uns nicht gelingt, in kürzester Frist die deutsche Wehrmacht in der Ausbildung, in der Aufstellung der Formationen, in der Ausrüstung und vor allem auch in der geistigen Erziehung zur ersten Armee der Welt zu entwickeln, wird Deutschland verloren sein!»
Auf die wirtschaftliche Lage eingehend, kam Hitler zu dem Ergebnis, daß Deutschland überbevölkert und nicht in der Lage war, sich auf seiner eigenen Grundlage zu ernähren. Dasselbe galt für einen Großteil seiner Rohstoffbedürfnisse. Exportsteigerungen waren theoretisch möglich, praktisch aber unwahrscheinlich. Fürs erste folgte daraus, daß Deutschland sich dort, wo es nur irgend möglich war, auf Selbstversorgung umstellen mußte. Benzin und Gummi waren ohne Rücksicht auf die
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