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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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infolgedessen weiterhin als «National Government» bezeichnen konnte.
    Wenige Wochen nach der Wahl geriet die Regierung Baldwin in ihre erste schwere Krise. Außenminister Hoare traf sich auf dem Weg in den Erholungsurlaub in der Schweiz am 7. und 8. Dezember in Paris mit Pierre Laval, der in Personalunion Ministerpräsident und Außenminister war, und vereinbarte mit ihm einen gemeinsamen Vorschlag zur Beilegung des Abessinienkonflikts: Große Teile im Nordosten und Süden des ostafrikanischen Kaiserreiches sollten dem faschistischen Italien übereignet werden, der Rest unabhängig bleiben und einen Zugang zum Meer erhalten. Durch eine Indiskretion aus dem Quai d’Orsay gelangte der «Hoare-Laval-Pakt» an die Öffentlichkeit. Während der publizistische Proteststurm tobte, versuchte Baldwin den Chef des Foreign Office im Unterhaus zu verteidigen, konnte aber nicht einmal das eigene Kabinett überzeugen.
    Am 18. Dezember beschloß die Regierung, den britisch-französischen Vorschlag nicht weiter zu verfolgen. Hoare mußte zurücktreten.Am 22. Dezember wurde der für Angelegenheiten des Völkerbundes zuständige Minister ohne Geschäftsbereich Anthony Eden zu seinem Nachfolger ernannt. Eden versuchte in der Folgezeit, Frankreich und die USA für
die
Sanktion gegen Italien zu gewinnen, die Mussolini am meisten fürchtete und mit Krieg zu beantworten drohte: das Verbot von Erdöllieferungen. Erfolg hatte der neue Außenminister damit nicht.
    Im Februar 1936 löste die Regierung Baldwin ein Wahlkampfversprechen ein: Der Premierminister ersuchte das Unterhaus um die Bewilligung von 394 Millionen Pfund Sterling, mit denen, auf fünf Jahre verteilt, die britische Rüstung gesteigert werden sollte. Die Verteidigung des Vereinigten Königreiches sollte ein neuer «Minister for Defence Co-ordination» überwachen. Einige konservative Politiker wollten den resoluten Winston Churchill auf diesem Posten sehen. Baldwin dachte zunächst an Hoare, folgte dann aber einem Vorschlag aus der Fraktion und ernannte den bisherigen Kronanwalt (Attorney General) Sir Thomas Inskip.
    Das herausragende Ereignis des Frühjahrs 1936 war die bislang stärkste außenpolitische Provokation Hitlers: die Besetzung des entmilitarisierten Rheinlands. In Paris und London hatte man mit einem derartigen Vorgehen gerechnet, aber keine gemeinsamen Abwehrmaßnahmen vereinbart. Nach Hitlers Coup drängten der belgische Ministerpräsident Paul Van Zeeland und der französische Außenminister Pierre-Étienne Flandin auf ein koordiniertes Vorgehen von Brüssel, Paris und London: Die drei Regierungen sollten beim Völkerbund Sanktionen gegen den deutschen Vertragsbruch beantragen. Die britische Antwort war negativ. Die großen Zeitungen hatten die jüngsten Ereignisse nicht als bedrohlich bewertet. Die Rheinlandbesetzung wurde weithin als innerdeutsche Angelegenheit betrachtet; von Lord Lothian war zu hören, die Deutschen hätten ihren «eigenen Hinterhof» besetzt. Baldwin bemerkte gegenüber dem nach London geeilten Flandin, Sanktionen erforderten einen militärischen Rückhalt, über den Großbritannien nicht verfüge. Im Kabinett gab der Premierminister zu bedenken, in einen Krieg würde auch die Sowjetunion eingreifen, und am Ende würde Deutschland kommunistisch werden.
    Hitlers Vertragsbruch blieb infolgedessen unbeantwortet, was nach Lage der Dinge kaum anders sein konnte, diesen aber zu weiteren Aktionen nach demselben Muster ermutigen mußte. Baldwins Hoffnungwar, daß sich Hitlers Aggressivität nicht gegen den Westen, sondern, im Sinne dessen, was man in «Mein Kampf» lesen konnte, gegen den Osten richten werde. Im Juli 1936, dem Monat, in dem der Spanische Bürgerkrieg begann, erklärte der Premierminister gegenüber Churchill: «Wenn es denn in Europa zu irgendeinem Kampf kommt, dann möchte ich, daß es die ‹Bolschies› und die ‹Nazis› erledigen» (If there is any fighting in Europe to be done, I should like to see the Bolschies and the Nazis doing it).
    In die britische Geschichte ist 1936 als das Jahr eines zweifachen Thronwechsels und einer einzigartigen Königskrise eingegangen. Am 20. Januar starb im Alter von siebzig Jahren Georg V., der im Jahr zuvor den 25. Jahrestag seiner Thronbesteigung hatte begehen können. Neuer König wurde sein Sohn Eduard VIII., damals 41 Jahre alt und noch unverheiratet. Eduard war wegen mehrerer Affären mit verheirateten Frauen und wegen der Sympathien bekannt, die er Deutschland

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