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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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einzutreten. Chamberlain wolltedarauf eingehen, während Eden, der dem «Duce» zutiefst mißtraute, das Angebot für nicht ernst gemeint hielt und vermutete, daß Mussolini dem Anschluß Österreichs an Deutschland bereits zugestimmt habe. Um ihre Differenzen zu klären, zogen sich beide kurz zurück; Grandi wurde aber Zeuge, als der Premierminister dem Außenminister vorhielt, er habe Chance um Chance verpasst und könne so einfach nicht weitermachen. Im Kabinett stellten sich alle bis auf zwei Minister auf die Seite des Regierungschefs. Am 20. Februar trat Eden zurück. Fünf Tage später übernahm Lord Halifax die Leitung des Foreign Office.
    Es wäre falsch, in der Ablösung Edens durch Halifax den Beginn der britischen Appeasementpolitik zu sehen. Der Wechsel an der Spitze des Außenministeriums stand für den Übergang von einer vorsichtigen und dosierten zu einer bedenkenloseren und umfassenden Form von Appeasement. Appeasement, was man sowohl mit Befriedung wie mit Besänftigung oder Beschwichtigung übersetzen kann, war Anfang 1938 in der Tat keine neue britische Politik mehr. Auch die Nichtreaktionen auf die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland und die Rheinlandbesetzung sowie die Duldung des Transports italienischer Truppen und Waffen durch den Suezkanal während des Abessinienkrieges waren, streng genommen, Fälle von Appeasement. Im Verhältnis zu Deutschland hatte schon in den zwanziger Jahren, mit ausgelöst durch Keynes’ 1920 erschienene Schrift über die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages, eine selbstkritische Betrachtung des Vertrags von Versailles eingesetzt. Deutschland erschien in der Folgezeit vielen Briten als ein Land, das man übermäßig hart behandelt hatte und dem man im ureigensten britischen Interesse, schon um Frankreich nicht zu stark werden zu lassen, entgegenkommen mußte.
    An dieser grundsätzlich wohlwollenden Haltung änderte sich in konservativen Kreisen auch nach 1933 wenig. Manche Politiker und Ökonomen räumten auch ein, daß Deutschlands wirtschaftliche und finanzielle Probleme zum Teil eine Folge jenes Protektionismus waren, zu dem Großbritannien 1931 übergegangen war. Folglich lag es nahe, von einer Liberalisierung des Außenhandels positive Wirkungen auf das politische Verhältnis zu Deutschland zu erwarten, also nicht nur ein politisches, sondern auch ein «economic appeasement» zu betreiben.
    Bei allen «Appeasers» spielte der Gedanke an das britische Weltreich eine wichtige Rolle. Wurde Großbritannien in Konflikte auf demKontinent hineingezogen, so drohte das in Übersee Kräfte zu stärken, die sich aus jeder Art von kolonialer Bevormundung und Abhängigkeit befreien wollten. Schon dieser Gedanke sprach dafür, einer Konfrontation mit den Diktaturen in Italien und Deutschland tunlichst aus dem Weg zu gehen. Zudem waren diese Regime entschieden antikommunistisch, also mögliche Verbündete bei der Abwehr einer Ausbreitung des Bolschewismus. Die «Appeasers» waren nicht so naiv, um an den unbedingten Friedenswillen Hitlers und Mussolinis zu glauben. Ein gewisses Maß an «rearmament» war aus ihrer Sicht notwendig, um beide von kriegerischen Abenteuern in Europa oder zumindest Westeuropa abzuhalten. Diese Aufrüstung hatte 1936 begonnen, aber noch längst nicht Ausmaße erreicht, die es gerechtfertigt hätten, von «Abschreckung» zu sprechen. Außerdem bestand zwischen den «Appeasers» grundsätzliche Übereinstimmung darin, daß Großbritannien mit der anderen großen angelsächsischen Macht, den USA, eng zusammenarbeiten mußte. Im Zweifelsfall erschien eine Abhängigkeit von Amerika weniger gefährlich als eine solche von einem übermächtigen Deutschland.
    Strittig war zwischen den «Appeasers» die Frage, wieweit man den Diktatoren in Berlin und Rom entgegenkommen durfte. «Pessimisten» wie Eden wollten da sehr viel weniger weit gehen als «Optimisten» wie Chamberlain und Halifax. Eden begann sich in seiner Skepsis seit Ende 1937 einem «Anti-Appeaser» wie Winston Churchill zu nähern, der seit langem viel stärkere Anstrengungen auf dem Gebiet der Rüstung verlangte, weil er sich über Hitlers Willen zum Krieg keinen Illusionen hingab. Das stärkste Hindernis auf dem Weg zur militärischen Parität mit Deutschland – einem Ziel, das schon Baldwin für nicht mehr erreichbar gehalten hatte – war aber nicht die fehlende Einsicht konservativer Politiker, sondern die Kriegsunwilligkeit der breiten Masse der Bevölkerung. Um die

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