Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
Vom Netzwerk:
Slowakei entkommener jüdischer Häftlinge, Rudolf Vrba und Alfréd Wetzler, genauestens über die Vorgänge in dem größten aller Vernichtungslager informiert. Doch alle Versuche einzelner jüdischer Persönlichkeiten, die amerikanische Führung zu einer Bombardierung der Gaskammern von Auschwitz oder der Eisenbahnlinie in das Vernichtungslager zu bewegen, scheiterten am Desinteresse des State Department und am Widerstand des Kriegsministeriums. Das Standardargument der Gegnerdieses Vorhabens lautete, auf diese Weise würden Kapazitäten gebunden, die man anderswo dringend benötige. Der stellvertretende Kriegsminister John McCloy wies im August 1944 entsprechende Vorschläge mit dem zusätzlichen Einwand zurück, solche Aktionen würden die Grausamkeit der Deutschen nur noch steigern.
    Die britischen Reaktionen waren ähnlich negativ. Auf beiden Seiten des Nordatlantiks fürchteten die maßgebenden Militärs und Politiker, durch ein verstärktes Engagement für die Juden antisemitischen Ressentiments im eigenen Land Auftrieb zu geben. Im einen oder anderen Fall mögen auch Vorurteile gegen Juden bei den Akteuren eine Rolle gespielt haben. Militärische Aktionen zur Rettung von Juden hat es seitens der Alliierten bis zuletzt nicht gegeben. Technisch wäre ein Bombardement der Zufahrten nach Auschwitz durchaus möglich gewesen: Industrieanlagen, die von den Gaskammern und Verbrennungsöfen nur wenige Kilometer entfernt waren, wurden zwischen Juli und November 1944 mehrfach von alliierten Bombern angegriffen.
    Auch im Vatikan war man über das, was die Deutschen den Juden antaten, gut informiert. Seit Anfang 1942 lagen der Kurie Berichte über Massenexekutionen im Baltikum und bald darauf auch über die Geschehnisse in Polen und der Ukraine vor. Doch Papst Pius XII. wollte das «Dritte Reich» nicht öffentlich anprangern, weil er in diesem Fall Repressalien gegenüber den Katholiken im Reich und im deutsch beherrschten Europa befürchtete und seit jeher im Bolschewismus eine größere Gefahr sah als im Nationalsozialismus. In seiner Weihnachtsbotschaft von 1942 äußerte der Papst zwar Mitgefühl mit den Menschen, die auf Grund ihrer Volkszugehörigkeit oder Rasse dem Tode geweiht oder der fortschreitenden Verelendung preisgegeben seien, relativierte diese Anspielung aber dadurch, daß er im gleichen Atemzug auch die Opfer des Luftkrieges nannte.
    Zur Deportation der römischen Juden im Oktober 1943 äußerte sich Pius XII. nicht. Als der Bischof von Berlin, Konrad Graf von Preysing, ihn im März 1943 um ein Wort zu den Judendeportationen bat und darauf hinwies, daß unter den Betroffenen auch viele Katholiken seien, begnügte sich Pius XII. mit einem Dank an die Berliner Katholiken, die den «sogenannten Nichtariern» in ihrer Bedrängnis viel Liebe entgegengebracht hätten. Der Pontifex agierte durchgängig als Diplomat, für den das Interesse der katholischen Kirche, so wie er es verstand, absoluten Vorrang vor humanitären Folgerungen hatte, dieandere aus der christlichen Botschaft ableiten mochten. Deswegen konnte die Vernichtung der europäischen Juden weitergehen, ohne daß aus dem Vatikan ein öffentlicher Protest laut wurde.
    Zur gleichen Zeit, als erste Nachrichten über die Massenvergasung von Juden in den Westen gelangten, Ende Juli 1942, entstand im Warschauer Ghetto eine jüdische Widerstandsgruppe, die Zydowska Organizacja Bojowa (ZOB). Aus dem kommunistischen Untergrund erhielten die etwa 200 Aktivisten der ZOB Pistolen und Handgranaten. Ihre Aktivitäten richteten die Widerstandskämpfer zunächst gegen jüdische Kollaborateure aus dem Judenrat, kamen damit aber nicht weit. Den Deutschen gelang im August und im September die Verhaftung führender Mitglieder der ZOB. Doch die Organisation war damit noch nicht zerschlagen. Im Januar 1943 griffen Widerstandskämpfer eine Begleitmannschaft der SS an, woraufhin 5000 bis 6000 Juden gefangen genommen wurden. Es folgten tödliche Anschläge der ZOB auf Juden, die für die deutsche Seite arbeiteten, darunter den stellvertretenden Chef der jüdischen Ghettopolizei. Die Zusammenarbeit mit der polnischen Heimatarmee wurde dadurch erschwert, daß diese den kommunistischen Neigungen einiger der jüdischen Widerstandskämpfer und ihren Verbindungen zum kommunistischen Untergrund mißtrauten. Einige Waffenlieferungen in das Ghetto gab es trotzdem.
    Am 19. April 1943 sollten nach dem Willen Himmlers die Liquidation des Warschauer Ghettos beginnen und die

Weitere Kostenlose Bücher