Geschichte des Westens
Bewohner in die Vernichtungslager deportiert werden. Die ZOB und ihr militärischer Arm, der ZZW (Zydowski Zwiazek Wojskowy), waren auf die Aktion vorbereitet: Sie nahmen den Kampf gegen die SS auf. Gekämpft wurde neun Tage lang überwiegend auf den Straßen, dann aus den unterirdischen Bunkern heraus. Einige der Aktivisten entkamen ihrer physischen Vernichtung durch die Kanalisation in den nichtjüdischen Teil der polnischen Hauptstadt. Die SS setzte Flammenwerfer, Maschinengewehre, Handgranaten, Dynamit und Tränengas ein. Am 16. Mai 1943 konnte SS-Brigadeführer Jürgen Stroop das Ergebnis bekannt geben: «Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr.» Die SS schätzte die Zahl der vernichteten Juden auf über 60.000.
Der Aufstand im Warschauer Ghetto war nicht der einzige Akt jüdischer Notwehr. Auch bei der Räumung des Ghettos von Bialystok und Wilna fanden bewaffnete Auseinandersetzungen statt. Im August1943 kam es im Lager Treblinka zu einer Erhebung. Ihr ging die Ausgrabung und Verbrennung von Leichen voraus – ein deutliches Zeichen, daß die Deutschen angesichts der vorrückenden Roten Armee die Spuren ihrer Verbrechen verwischen wollten und die Auflösung des Lagers bevorstand. Von den 850 «Arbeitsjuden», die zu diesem Zeitpunkt noch in Treblinka lebten, wurden bis auf 100, die fliehen konnten, bei dem Aufstand oder kurz darauf alle getötet.
Mitte Oktober 1943 folgte die Erhebung der Juden von Sobibór, das ebenfalls aufgelöst werden sollte. Den Aufständischen gelang die Liquidation des SS-Wachpersonals; immerhin 300 Juden entkamen über den Bug in die nahegelegenen Wälder, wo sie sich den Partisanen anschlossen. Bevor es auch in Majdanek und den Lagern Trawniki und Poniatowa zu irgendwelchen Aktionen der dort beschäftigten «Arbeitsjuden» kommen konnte, schlug die SS zu. Im Zuge der «Operation Erntefest» wurden Anfang November 1943 etwa 42.400 Juden exekutiert. Um die Schüsse und die Schreie der Sterbenden zu übertönen, erklang aus den Lautsprechern Musik in ohrenbetäubender Lautstärke.
Im Unterschied zur Vernichtung der europäischen Juden geschah die der Sinti und Roma eher unsystematisch. Obwohl sie ursprünglich aus Nordwestindien stammten und damit als «arisch» zu gelten hatten, wurden die Sinti und Roma von den Nationalsozialisten als asoziale «Untermenschen» betrachtet. Seit 1936 waren in Deutschland lebende Zigeuner in Konzentrationslager eingeliefert worden; seit 1938 wurden sie zu Zwecken der Zwangsarbeit verschleppt. 1941 gab es die ersten Massenerschießungen, ein Jahr später die ersten Vergasungen von Zigeunern in Chelmno. In Vichy-Frankreich wurden etwa 30.000 Sinti und Roma interniert und an die Deutschen ausgeliefert. In Polen, der Sowjetunion und Serbien wurden unter der deutschen Besetzung Tausende von Zigeunern ermordet. Das Ustascha-Regime in Kroatien und das Rumänien Antonescus brachten Zehntausende von Zigeunern um. Von den 22.600 im Zigeunerlager von Auschwitz eingesperrten Menschen kamen 19.300 um. Von den im «Altreich» lebenden Zigeunern und «Zigeunermischlingen» wurden etwa 15.000, von den in Österreich und der Tschechoslowakei lebenden 8000 beziehungsweise 35.000 umgebracht. Die Angaben über die Gesamtzahl der unter deutscher Herrschaft ermordeten Zigeuner schwanken zwischen 220.000 und 500.000.
Seit die SS Ende 1942 zwischen «reinrassigen», auf ihre arischen Wurzeln rückführbaren Sinti und angeblich nicht reinrassigen Roma zu unterscheiden begann, hörten die Deportationen in Vernichtungslager zum Zweck der unmittelbaren Ermordung auf. 1944 wurden im Reichsgebiet etwa 2000 bis 2500 «nichtangepaßte» Zigeunermischlinge sterilisiert. Die nationalsozialistische Zigeunerpolitik war ein widersprüchliches Gemisch aus biologischem Rassismus und gesellschaftspolitischem Utilitarismus. Wenn der Vernichtungswille gegenüber dieser Menschengruppe weniger umfassend und intensiv war als gegenüber den Juden, dann deswegen, weil die Zigeuner «nur» als minderwertige Glieder der Gesellschaft, nicht aber als Urheber einer Weltverschwörung angesehen wurden.
Diese
Zuschreibung war allein den Juden vorbehalten.
Am 4. Oktober 1943 hielt der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, in Posen eine Rede vor SS-Gruppenführern. Offen wie nie zuvor sprach er dabei über die Judenvernichtung. «‹Das jüdische Volk wird ausgerottet›, sagt ein jeder Parteigenosse, ‹ganz klar, steht in unserem Parteiprogramm, Ausschaltung der Juden, Ausrottung,
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