Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
Vom Netzwerk:
Gerstein, ein tief gläubiger deutscher Protestant, der wohl aus subversiven Gründen der SS beigetreten war und als Entseuchungsexperte am Hygieneinstitut der Waffen-SS in Berlin arbeitete, vom Reichssicherheitshauptamt mit der Beschaffung und Lieferung von Zyklon B, also Blausäuregas, nach Lublin beauftragt. In Belzec wurde Gerstein Zeuge einer Massenvergasung von Juden, über die er auf der Rückfahrt von Warschau nach Berlin einen schwedischen Diplomaten, den Botschaftsattaché Göran von Otter, und kurz darauf den evangelischen Generalsuperintendenten von Berlin, Otto Dibelius, informierte. Wenig später wurde ein anderer schwedischer Diplomat, der Konsul von Stettin, Karl Ingve Vendel, aus Kreisen des militärischen Widerstands gegen Hitler, vermutlich von Oberstleutnant Henning von Tresckow, dem Ersten Generalstabsoffizier der Heeresgruppe Mitte, über die massenhafte Vergasung von Juden unterrichtet. Beide schwedische Diplomaten gaben das, was sie erfahren hatten, an die Regierung in Stockholm weiter, die jedoch davon absah, die Berichte an die westlichen Alliierten weiter zuleiten.
    Ebenfalls im Sommer 1942 gelangten gleichlautende Nachrichten in die Schweiz. Der deutsche Industrielle Eduard Schulte, der über gute Verbindungen zu hohen Stellen des nationalsozialistischen Regimes verfügte, berichtete bei einem Besuch in Zürich einem jüdischen Geschäftsfreund von der geplanten Ausrottung der europäischen Juden. Schultes Gesprächspartner informierte den Direktor des Genfer Büros des Jüdischen Weltkongresses, Gerhart Riegner, der die Meldung seinerseits über die amerikanische und britische Gesandtschaft in Bern telegraphisch an den Jüdischen Weltkongreß weiterleitete, dabei aber auch Zweifel an der Richtigkeit des Inhalts durchblicken ließ. Auf diesem Weg erfuhren nicht nur der Jüdische Weltkongreß, sondern auch die Außenministerien in London und Washington von der «Endlösung». Der amerikanische Unterstaatssekretär Sumner Welles verständigte sich mit Stephen Wise, dem Präsidenten des Jüdischen Weltkongreßes, darauf, mit einer Veröffentlichung des Berichts so lange zu warten, bis eine Bestätigung aus unabhängiger Quelle vorlag. Ähnlich reserviert verhielten sich das Internationale Rote Kreuz und die Regierung der Schweiz.
    In Großbritannien verbreitete sich die Nachricht von der Judenvernichtung seit Ende Juni 1942. In den USA sah sich das State Department im November genötigt, dem jüdischen Weltkongreß gegenüberzu bestätigen, daß Riegners Telegramm auf Tatsachen beruhte. Am 10. Dezember erhielt die britische Regierung durch den Außenminister der polnischen Exilregierung, Graf Raczynski, einen ausführlichen Bericht über das, was in den Vernichtungslagern geschah. Eine Woche später gaben die alliierten Regierungen und das Nationalkomitee des Freien Frankreich eine Erklärung heraus, in der sie die Weltöffentlichkeit über die fortschreitende Ausrottung der Juden Europas unterrichteten und den Urhebern des Verbrechens Vergeltung androhten.
    Im Oktober 1942 wurde ein Untergrundkämpfer der Polnischen Heimatarmee, Jan Karski, der zuvor mit jüdischer Hilfe das Warschauer Ghetto hatte besuchen können, in der Uniform eines ukrainischen Wachmanns Zeuge einer Massenvernichtung von Juden in einem Außenposten des Vernichtungslagers in Belzec. Kurz darauf gelangte Karski auf abenteuerlichen Wegen über Deutschland, Vichy-Frankreich, Spanien und Gibraltar nach London, wohin ihn die polnische Exilregierung beordert hatte. Seine Berichte über die Ausrottung der Juden stießen zunächst nicht nur in polnischen und britischen Kreisen, sondern auch bei seinen jüdischen Gesprächspartnern auf Skepsis. Im Juli 1943 reiste Karski als Kurier der polnischen Exilregierung nach Washington, wo er mit katholischen Erzbischöfen, Führern jüdischer Organisationen, dem jüdischen Richter am Obersten Gerichtshof, Felix Frankfurter, und auch mit Präsident Roosevelt zusammentraf und sie über die Lage in Polen und die Vernichtung der Juden informierte. Praktische Folgen hatte die Unterrichtung aus erster Hand nicht. Die Vertreter des amerikanischen Judentums unterstützten den Krieg gegen das nationalsozialistische Deutschland mit allem Nachdruck, wollten aber den Präsidenten nicht in eigener Sache unter Druck setzen.
    Seit Ende April 1944 war man bei den Alliierten durch die «Auschwitz-Protokolle», die über die Schweiz nach Großbritannien und Amerika gelangten Berichte zweier in die

Weitere Kostenlose Bücher