Geschichte des Westens
innerhalb von drei Tagen 700 weitere in Gewahrsam genommen. Die revolutionären Matrosen in Kronstadt brachten etwa 500 von ihnen festgehaltene Menschen um. Die Petrograder Tscheka erschoß im September 1918 binnen weniger Tage 512 Geiseln. Der Tscheka-Verband des Uralgebiets meldete im Frühherbst 1918 innerhalb einer Woche die Hinrichtung von 23 ehemaligen Gendarmen, 154 «Konterrevolutionären», 8 Monarchisten, 28 «Kadetten», 186 Offizieren, 10 Menschewiki und rechten Sozialrevolutionären, die Tscheka von Twer 39 und die von Perm 50 Hinrichtungen. Insgesamt sollen im Herbst 1918 10.000 bis 15.000 Menschen dem «roten» Terror zum Opfer gefallen sein. Die Zahl der «Klassenfeinde», die in Konzentrationslagern gefangen gehalten wurden, stieg bis zum Mai 1919 auf 16.000 und bis zum September 1921 auf 70.000 Personen.
Am 24. Januar 1919 faßte das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Rußlands den Beschluß, in dem «der gnadenlose Kampf, der massive Terror gegen die reichen Kosaken, die bis auf den letzten Mann auszurotten und physisch zu vernichten sind, die einzig politisch korrekte Maßnahme» genannt wurde. Zwischen Mitte Februar und Mitte März 1919 wurden daraufhin über 8000 Kosaken hingerichtet. Insgesamt belief sich die Zahl der 1919/29 hingerichteten und deportierten Kosaken nach glaubwürdigen Schätzungen auf 300.000 bis 500.000 – bei einer Gesamtbevölkerung von nicht über 3 Millionen Kosaken. Daß die meisten der liquidierten Kosaken keineswegs «reich» waren, scherte ihre Verfolger nicht im mindesten.
Der «weiße» Terror richtete sich vor allem gegen die Juden, die von den Kosaken und vielen «Weißen» pauschal mit den Bolschewiki gleichgesetzt wurden. Auf das Konto von Abteilungen der «Weißen Armee» Denikins und ukrainischer Verbände unter dem Oberbefehl Petliuras gingen Pogrome, denen etwa 150.000 Menschen zum Opfer fielen. Allein in der Ukraine wurden in den Bürgerkriegsjahren 1919 und 1920 mindestens 30.000 Juden umgebracht. Sehr viel größer waren die Zahlen derer, die schwer verletzt und ihres Besitzes beraubt wurden.
Antibolschewismus und Antisemitismus waren vor allem bei den wohlhabenden Bauern, den Kulaken, populär, von denen es besondersviele in der Ukraine gab. Ihre Proteste richteten sich gegen die Einziehung zur Roten Armee und die Zwangsabgabe beziehungsweise Beschlagnahme von Getreide, Kartoffeln, Fleisch, Milch und Eiern, alles Maßnahmen des «Kriegs-Kommunismus». Im August 1918 rief Lenin zum «Bürgerkrieg in den Dörfern» und zum «schonungslosen Krieg gegen die Kulaken» auf, die er als «wütende Feinde der Sowjetmacht» bezeichnete. Er drohte ihnen nicht nur die Geiselnahme und den Tod an, sondern machte in einem Telegramm vom 11. August an den Sowjet von Pensa klar, wie er sich diesen Tod vorstellte: «Hängt (hängt sie unbedingt, so daß
die Leute sie sehen
) mindestens hundert bekannte Kulaken, Reiche und Blutsauger auf … Sofortige Durchführung nach Erhalt des Telegramms.» Im September 1919 wurden von den kommunistischen Gebietsverwaltungen in zehn Provinzen, für die zusammenfassende Daten vorliegen, fast 49.000 Fahnenflüchtige, meist Bauern, über 700 verhaftete «Banditen», 1826 Todesopfer und 2230 Erschießungen gezählt. Auf Seiten der Partei- und Staatsfunktionäre und des Militärs gab es 430 Tote.
Im Frühjahr 1919 kam es vielerorts auch zu Streikaktionen von Arbeitern, beginnend mit denen in den Petrograder Putilow-Werken, 1917 noch eine Hochburg der Bolschewiki, in den Tagen nach dem 10. März 1919. Die Ausstände waren in erster Linie ein verzweifelter Protest gegen die grassierende Hungernot, die niedrigen Löhne und das von der Regierung verhängte Streikverbot. Lenin und Sinowjew wurden, als sie am 12. und 13. März in den Putilow-Werken erschienen, ausgebuht und mit Rufen wie «Nieder mit den Juden und Kommissaren!» bedacht. (Tatsächlich waren einige der bekanntesten Führer der Bolschewiki wie Trotzki, Sinowjew, Kamenew, Rykow und Karl Radek Juden.) Der Streik in den Putilow-Werken wurde von tschekistischen Einheiten niedergeworfen, 900 Arbeiter wurden verhaftet, etwa 200 ohne Gerichtsverfahren hingerichtet. In Orel, Briansk, Gomel und Astrachan schlossen sich den Streikenden meuternde Soldaten an. Auch hier wurden antisemitische Parolen laut. Überall antwortete die Tscheka mit Waffengewalt und der Einziehung von Lebensmittelkarten. In Tula, wo der Chef der Tscheka, Feliks Dzierzynski, persönlich eingriff,
Weitere Kostenlose Bücher