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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Freikorpsoffizieren entfalteten sie in den folgenden Monaten ihren «weißen Terror» gegen wirkliche und vermeintliche Anhänger des Räteregimes und vor allem gegen Juden, wobei ihnen nicht wichtig war, wo diese politisch standen. Mehr als die Hälfte der Volkskommissare waren Juden gewesen; das gab dem ohnehin starken Antisemitismus in Ungarn gewaltigen Auftrieb. Der «rote Terror» der Revolutionstribunale hatte etwa 120 Tote gefordert; dem Terror der von Horthy befehligten Verbände fielen ungefähr 2000 Menschen zum Opfer. Etwa 70.000 Personen wurden ins Gefängnis geschickt oder interniert. Ungarn war nicht nur das einzige Land Mitteleuropas, das 1919 eine kommunistische Machtübernahme erlebte. Es war auch das erste Land, das nach dem Ersten Weltkrieg den Weg in ein rechtsautoritäres Regime einschlug.[ 2 ]
Erkämpfte Selbständigkeit:
Estland, Lettland, Litauen und Finnland
    Der Untergang der ungarischen Räterepublik war nicht der einzige außenpolitische Rückschlag, den die Bolschewiki 1919 hinnehmen mußten. Nach der Niederlage der Mittelmächte hatte der Rat der Volkskommissare in Moskau bereits am 13. November 1918 erklärt,daß er sich an das Diktat von Brest-Litowsk nicht mehr gebunden fühle. Die ersten, die das zu spüren bekamen, waren die baltischen Völker. In Estland, das außer dem historischen Estland auch das nördliche Livland umfaßte, hatte der nach der russischen Februarrevolution gebildete Landschaftsrat, der Maapäev, schon am 24. Februar 1918 die Unabhängigkeit des Landes erklärt; kurz darauf war Estland jedoch von deutschen Truppen besetzt worden. Nach dem Sturz der Monarchie erkannte Deutschland, noch im November 1918, die Unabhängigkeit Estlands an; im März 1919 folgte die faktische Anerkennung durch Großbritannien und Frankreich.
    Doch kaum waren die deutschen Truppen abgezogen, marschierte die Rote Armee in Estland ein; einige wenige «rote» estnische Einheiten schlossen sich ihr an. Dank der Waffen, die sie von Finnland und der Entente erhielt, konnte die Provisorische Regierung von Ministerpräsident Konstantin Päts eine schlagkräftige nationale Armee aufbauen. Die Unterstützung der Bauern gewann die Regierung mit dem Versprechen, die Rittergüter der deutsch-baltischen Oberschicht zu ihren Gunsten aufzuteilen. Bis zum Februar 1919 war ganz Estland von den Invasoren aus Sowjetrußland wieder befreit.
    In der bäuerlichen Bevölkerung Lettlands, das aus dem Südteil Livlands, aus Kurland und Lettgallen, dem Gebiet um Dünaburg (Daugavpils), bestand, fanden die Bolschewiki mehr Unterstützung als in Estland. Am 18. Januar 1918 proklamierte der in der Zeit der Besetzung durch deutsche Truppen gebildete Lettische Nationalrat die unabhängige Republik Lettland und beauftragte den Vorsitzenden des Bauernbundes, Karlis Ulmanis, mit der Regierungsbildung. Sie wurde Ende November 1918 vom Rat der Volksbeauftragten in Berlin de facto anerkannt, stand jedoch von Anfang an unter dem massiven Druck der einheimischen probolschewistischen Rätebewegung und der Roten Armee, die im Januar 1919 in Lettland eindrang und die Hauptstadt Riga eroberte. Obwohl Ulmanis ein ententefreundlicher Politiker war, sah er sich genötigt, die Hilfe der Baltischen Landeswehr, einer militärischen Selbsthilfeorganisation der Deutschbalten, und deutscher Freikorps in Anspruch zu nehmen. Die letzteren operierten mit stillschweigender Zustimmung der Siegermächte im Baltikum und erhielten von der Regierung Ulmanis die vertragliche Zusage, daß ihre Angehörigen später auf Antrag lettische Staatsbürger werden (und sich damit in Lettland dauerhaft niederlassen) könnten.
    Die Forderung der Baltendeutschen nach einem maßgeblichen Anteil an der Staatsführung aber lehnte Ulmanis ab, was am 18. April zum sogenannten «Libauer Putsch» des «Stoßtrupps» der Baltischen Landeswehr führte: Die Regierung Ulmanis wurde abgesetzt und durch eine den Deutschbalten ergebene Regierung unter nomineller Leitung des lettischen Pastors Andrievs Niedra ersetzt. Im Mai eroberte die Baltische Landeswehr mit Unterstützung lettischer und reichsdeutscher Verbände Riga zurück. Ulmanis aber, der sich unter britischen Schutz gestellt hatte, trat nicht von der politischen Bühne ab. Durch den Gewaltakt von Libau gewann er vielmehr erst jene nationale Solidarität der Letten, die er vorher vermißt hatte. Mit massiver Hilfe der Esten konnten ihm und seiner Regierung gegenüber loyale lettische Truppen Ende Juni die

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