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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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wurden Anfang April 1919 26 angebliche «Rädelsführer» der Streiks hingerichtet. Arbeiter, die wieder eingestellt werden wollten, mußten Verträge unterschreiben, in denen sie zustimmend zur Kenntnis nahmen, daß Arbeitsniederlegungen mitFahnenflucht gleichzusetzen und darum mit dem Tode zu bestrafen seien. An
einem
Ort ging die Tscheka im folgenden Jahr dazu über, Häftlinge nach dem Vorbild der jakobinischen «noyades» von 1793 in einem Fluß zu ertränken: im Lager Cholmogory an der Düna.
    Daß am Ende die «Roten» über die «Weißen» obsiegten, lag nicht nur an der Wirksamkeit des kommunistischen Terrors und an der alles in allem nur halbherzigen Unterstützung der Gegenrevolution durch die Westmächte. Den Ausschlag gab die Haltung der landarmen Bauern. Für sie waren die gegenrevolutionären Kräfte die Sachwalter des adligen Großgrundbesitzes, die die Rückkehr zu den früheren Besitzverhältnissen anstrebten. Den Bolschewiki hielten diese Bauern, die die große Mehrheit der Bauernschaft und der russischen Bevölkerung stellten, die Umverteilung des Bodens zugute. Die «Roten» waren also, verglichen mit den «Weißen», das kleinere Übel. Diese Einschätzung überwog die Verbitterung über die Requisitionen von Getreide und anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen und über den Zwangsdienst in der Roten Armee, in der sie, die Kleinbauern, die weitaus größte Gruppe stellten.
    Wenige Tage vor dem Beginn des Streiks in den Putilow-Werken, vom 2. bis 6. März 1919, tagte im Moskauer Kreml der Gründungskongreß einer neuen, der Dritten oder Kommunistischen Internationale. Da die alte, die Zweite Internationale nach Lenins Meinung die Sache des Marxismus und damit der Arbeiterklasse verraten hatte, war es für ihn ausgemacht, daß es eine völlig neue, wahrhaft revolutionäre Internationale zu schaffen galt. Den letzten Anstoß gab die Einberufung der ersten Nachkriegskonferenz der Zweiten Internationale auf den 27. Januar 1919 nach Bern. Angesichts der Bedrohung durch konterrevolutionäre Kräfte und die militärische Intervention der Alliierten mußten die Bolschewiki unter allen Umständen verhindern, daß sich das europäische Proletariat von rechten «Sozialchauvinisten» oder «Zentristen» wie Kautsky auf eine antibolschewistische Linie festlegen ließ.
    Am ersten Kongreß der Kommunistischen Internationale nahmen 54 Delegierte teil. Fünf waren aus dem Ausland nach Moskau gelangt, und zwar aus Deutschland, Österreich, den Niederlanden, Schweden und Norwegen. Einige andere Länder waren durch ehemalige Kriegsgefangene oder durch Revolutionäre vertreten, die sich ohnehin in Rußland aufhielten. Die Hochstimmung der Teilnehmer stand in auffälligemGegensatz zur gefährdeten Lage des Sowjetstaates. Lenin und die führenden Bolschewiki glaubten an unmittelbar bevorstehende Revolutionen in Europa und damit an den baldigen Sieg der Weltrevolution. Eine Schlüsselrolle würde dabei Deutschland spielen: Sobald dort die Räterepublik gesiegt hatte, sollte die Dritte Internationale nach einem Beschluß des Kongresses den Sitz ihrer Exekutive und ihres Büros von Moskau nach Berlin verlegen. Die deutschen Kommunisten, die im März 1919 durch Hugo Eberlein in Moskau vertreten waren, widersetzten sich zunächst der Gründung der neuen Internationale. Das entsprach der Linie der ermordeten Rosa Luxemburg: Sie hatte befürchtet, daß eine Internationale, in der nur die russischen Bolschewiki einen Machtfaktor bildeten, bald in volle Abhängigkeit von Moskau geraten würde. Am Ende enthielt sich Eberlein der Stimme. Nachdem die «Komintern», so das spätere Kürzel, gegründet war, schloß sich ihr auf Drängen Eberleins die KPD als erste Partei an.
    In den Entschließungen des Gründungskongresses wurden die «Sozialpatrioten» oder «Sozialchauvinisten» vom rechten Flügel der sozialistischen Bewegung und das «Zentrum» um die Independent Labour Party, die neue Mehrheit der SFIO um Jean Longuet und den gemäßigten Flügel der USPD um Haase, Hilferding und Kautsky schärfer angegriffen als Kapitalisten und Imperialisten. Die wesentliche Bedingung des Sieges der Arbeiterklasse, so hieß es in den von Bucharin verfaßten «Richtlinien», sei die Trennung nicht nur von den rechten Sozialdemokraten, «von den direkten Lakaien des Kapitals und den Henkern der kommunistischen Revolution», sondern auch vom «Zentrum» der «Kautskyaner», das in kritischen Momenten das Proletariat verlasse. Sinowjew,

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