Geschichte des Westens
der in Moskau zum Präsidenten der Kommunistischen Internationale gewählt wurde, nannte in einer von ihm vorgelegten Entschließung die Zentristen sogar gefährlicher als die «Sozialchauvinisten», die zu Mördern von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg geworden seien, weil die ersteren in Wahrheit die Einheit mit den Sozialchauvinisten erstrebten und die revolutionären Elemente zu täuschen versuchten. «Der organisatorische Bruch mit dem Zentrum ist eine absolute historische Notwendigkeit.»
Auf der Berner Konferenz sozialistischer Parteien, die vom 27. Januar bis 9. Februar stattfand und den Bolschewiki den äußeren Anlaß zur Gründung der Kommunistischen Internationale gab, hatten die aus der Sicht Lenins und Sinowjews gefährlichsten aller «Sozialchauvinisten»,die deutschen Mehrheitssozialdemokraten, zunächst einen schweren Stand gehabt. Die Arbeiterparteien der Siegermächte und der meisten neutralen Länder warfen ihnen Verrat an der Sache des internationalen Proletariats vor, während die USPD als Hüterin der sozialistischen Tradition galt. Der französische Sozialist Albert Thomas fand zwar keinen Anklang, als er den Ausschluß der MSPD verlangte, aber Kurt Eisner erhielt viel Zustimmung, als er die Mehrheitssozialdemokraten aufforderte, ihre Irrtümer einzugestehen. Dem kamen die Vertreter der MSPD allenfalls halbherzig nach. Sie forderten die Veröffentlichung der einschlägigen Dokumente zum Kriegsausbruch in allen beteiligten Ländern und räumten lediglich ein, daß der deutsche Einmarsch in Belgien ein Völkerrechtsbruch gewesen sei.
Am Ende siegte aber der Wille zur Versöhnung. Den deutschen Sozialdemokraten wurde die Revolution zugute gehalten, ein Urteil der Internationale über die «weltgeschichtliche Frage der Verantwortlichkeit» für den Weltkrieg einem späteren Kongreß vorbehalten. Die gemeinsame Gegnerschaft zum Kommunismus erleichterte die Verständigung. Die Linkssozialisten konnten zwar die Abstimmung über eine Resolution verhindern, die sich für die Demokratie und damit gegen die bolschewistische Diktatur aussprach. Aber an der Ablehnung des russischen Weges zum Sozialismus ließ die Mehrheit keinen Zweifel; die Wahl des schwedischen Parteivorsitzenden Hjalmar Branting, eines erklärten Reformisten, zum Präsidenten der Zweiten Internationale unterstrich diese Haltung. Nicht umstritten war der Kernpunkt des neuen Programms: das Bekenntnis zu einem Völkerbund, der nicht ein Diskussionsklub von Regierungsvertretern, sondern ein Weltparlament mit einer Weltregierung sein sollte, ausgestattet mit der Macht, alle Konflikte zwischen den Staaten friedlich zu schlichten.
Die Bolschewiki sahen in der wiedererstandenen Zweiten Internationale zu Recht ein Hindernis für ihre weltrevolutionären Bestrebungen. Die «Prawda» ließ am 6. Februar 1919 ihren Zorn auf die Teilnehmer der Berliner Konferenz, die sie als «Lakaien» und «Sozialobskurantisten» bezeichnete, freien Lauf: «Ein Gefühl vereint sie: ein wütender Haß auf die Bolschewiki. Ein Schlagwort vereint sie: das Schlagwort vom Krieg gegen die Bolschewiki. Die ersten Worte der Gelben Internationale waren ‹Kampf den Bolschewiki!›»[ 4 ]
Die Sieger rücken nach rechts:
Die Westmächte am Vorabend der Pariser Friedensverhandlungen
Während in den besiegten Ländern Deutschland, Österreich und Ungarn die linke Mitte an die Regierung gelangte, rückten drei der vier wichtigsten Siegermächte, nämlich die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Italien, um dieselbe Zeit nach rechts; in Frankreich war die Wendung nach rechts schon ein Jahr zuvor, im November 1917, durch die Wahl des «jakobinischen» Nationalisten Georges Clemenceau zum Ministerpräsidenten erfolgt. In den USA errangen bei den «off-year elections» vom November 1918, bei denen das Repräsentantenhaus und ein Drittel der Senatoren gewählt wurden, die oppositionellen Republikaner einen überragenden Sieg: Im Senat, wo die Demokraten bisher 6 Sitze mehr als die Republikaner gehabt hatten, verfügten die letzteren nun über eine Mehrheit von zwei Sitzen; im Repräsentantenhaus verwandelten sie eine Minderheit von fünf in eine Mehrheit von 45 Sitzen. Was sich für die «Grand Old Party» besonders auszahlte, waren ihre massiven Angriffe auf den «weichen» Internationalismus des demokratischen Präsidenten Woodrow Wilson und seine angeblich allzu große Nachsicht gegenüber den Deutschen.
Großbritannien erlebte im Dezember 1918 eine Neuauflage
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