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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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hingegen in ernste Bedrängnis, zumal dies nicht der einzige schwere Rückschlag war, den die Bolschewiki auf dem Gebiet des einstigen Zarenreiches im Frühjahr und Sommer 1919 hinnehmen mußten. Nach der Aufkündigung des Vertrages von Brest-Litowsk war die Rote Armee im Dezember 1918 in die östliche Ukraine eingedrungen; im Februar 1919 marschierte sie in Kiew ein. Die Regierung des ukrainischen «Direktoriums» unter Volodymyr Vynnychenko, die im Dezember 1918 die Macht ergriffen hatte, floh nach Podolien und organisierte von dort aus unter Führung von Symon Petliura den Widerstand gegen die Bolschewiki. Im Sommer 1919 wurde die Rote Armee von Verbänden des «weißen» Generals Denikin aus der Ukraine vertrieben. Vom Baltikum aus drangen «weiße» Verbände unter General Judenitsch im Oktober bis vor die Tore von Petrograd vor. Die ehemalige Hauptstadt konnte nur dank der eisernen Energie Trotzkis und des von ihm organisierten Widerstandswillens der Bevölkerung gehalten werden. Im Süden stießen von den Generälen Denikin und Krasnow befehligte «weiße» Truppen bis nach Kursk und von dort bis nach Orel vor, so daß der Weg nach Tula und Moskau frei schien. Im Osten gelang den Gegnern der Bolschewiki unter Admiral Koltschak, seit Juni Oberbefehlshaber aller «weißen» Truppen, der Vormarsch fast bis zur Wolga.
    Dazu kam die Intervention der westlichen Verbündeten. Die Niederlage der Mittelmächte veranlaßte die Westmächte, ihre auf russischem Territorium operierenden Truppen zu verstärken. Im November und Dezember 1918 wurden neue Verbände nach Murmansk und Wladiwostok gebracht. Einen antibolschewistischen «Kreuzzugsplan» von Marschall Foch lehnte der Oberste Rat der Verbündeten in Parisam 27. März 1919 zwar ab, die «Weißen» aber wurden weiterhin, vor allem finanziell und technisch, unterstützt. Im Mai 1919 erkannten die Westmächte die Regierung von Admiral Koltschak an, der sich schon am 18. November 1918 zum «Reichsverweser» erklärt hatte. Am 10. Oktober 1919 verhängten die Verbündeten eine Wirtschaftsblockade über Sowjetrußland. Dennoch wendete sich kurz darauf das Blatt zugunsten der Bolschewiki. Da die britische Flotte im Finnischen Meerbusen nicht eingriff, brach die Offensive von Judenitsch im Nordwesten zusammen. Seinem Rückzug folgte der von Koltschak, der unter dem Druck von Roter Armee und bolschewistischen Partisanen sogar bis Irkutsk zurückweichen mußte. Im Süden wurde Denikin zurückgedrängt, im Westen die Ukraine erneut besetzt. Am 4. Januar 1920 trat Koltschak als «Reichsverweser» zurück; am 16. Januar hob der Oberste Alliierte Rat die Wirtschaftsblockade auf. Der russische Bürgerkrieg war damit noch nicht zu Ende, aber im wesentlichen entschieden – zugunsten der «Roten».
    Der russische Bürgerkrieg wurde von beiden Seiten nicht nur mit äußerster militärischer Härte, sondern auch mit den Mitteln des politischen Terrors geführt, wobei der «rote Terror» systematischer angelegt war als der «weiße». Die «Prawda», die Parteizeitung der Bolschewiki, verkündete am 31. August 1918, einen Tag, nach dem Lenin durch ein Attentat der Sozialrevolutionärin Fanny Kaplan schwer verletzt worden war, die «Zeit für die Vernichtung der Bourgeoisie» sei gekommen. Am 5. September erging das «Dekret über den roten Terror», das es für absolut lebensnotwendig erklärte, die Tscheka, die Geheimpolizei, zu stärken, die Klassenfeinde der sowjetischen Republik in Konzentrationslagern zu isolieren und jeden, der in weißgardistische Organisationen, Verschwörungen oder Aufstände verwickelt war, «auf der Stelle zu erschießen». Grigori Sinowjew, ein prominentes Mitglied der Parteiführung, präzisierte ein paar Tage später: «Um uns von unseren Feinden zu befreien, brauchen wir unseren eigenen sozialistischen Terror. Etwa 90 der 100 Millionen Einwohner des sowjetischen Rußland müssen wir auf unsere Seite bringen. Den anderen haben wir nichts zu sagen. Sie müssen vernichtet werden.» Den Soldaten der Roten Armee rief Sinowjew zu: «Die Bourgeoisie tötet einzelne Individuen, wir aber bringen ganze Klassen um.» Martyn Latsis, einer der Chefs der Tscheka, bestätigte Anfang Oktober 1918: «Wir sind dabei, die Bourgeoisie als Klasse auszurotten.»
    Die Praxis blieb nicht hinter der Theorie zurück. Geiselnahmen und Geiselerschießungen waren an der Tagesordnung. In Nischni-Nowgorod wurden am 31. August 1918 141 Geiseln hingerichtet und

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