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Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Titel: Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johano Strasser
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Zwangsgewalt zu opfern.
     
    Die soziale Dimension der Sicherheit bleibt dabei außen vor. Selbstsicherheit und das Gefühl der Geborgenheit können aber nur entstehen, wenn ich mich anderen im weitesten Sinn liebend, d. h. ohne Gewinn- oder Vorteilsabsichten, nähere. Darum erweist sich die Verinnerlichung des Do-ut-des , des kapitalistischen Äquivalententausches, erweisen sich die habituell gewordenen und in allen Lebensbereichen angewandten Preis-Leistungs-Vergleiche heute als eines der Haupthindernisse auf der Suche nach Geborgenheit und Lebenszuversicht.
     
    Die Fähigkeit, sich anderen Menschen liebend zuzuwenden, wird, wie uns Psychologen belehren, in der frühen Kindheit begründet, zuerst im Verhältnis zur Mutter, später auch im Verhältnis zu anderen Personen der näheren Umgebung. Sie ist nicht, wie häufig behauptet wird, eine Reaktion auf die zuverlässige Versorgung durch die Mutter, sie ist von Anfang an als sympathische Beziehung gegeben. Was schon der russische Anarchist Pjotr Alexejewitsch Kropotkin in seiner Schrift Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt (1902) zu belegen versuchte und neueste psychologische und neurologische Forschungen bestätigen, hat Horst Eberhard Richter in seinem Buch Der Gotteskomplex jenen entgegengehalten, die in Anlehnung an das Menschenbild des Homo oeconomicus den Egoismus als alleiniges Handlungsmotiv des Menschen betrachten: »Die Mutter freut sich und leidet mit dem Säugling, wenn er wohlgemut strampelt oder wenn er sich quält. Sie fühlt sich wohl, wenn sie merkt, dass er zufrieden ist. Und nichts verschafft ihr natürlicherweise mehr Genugtuung, als
ihm ein Lächeln oder eine Geste abzulocken, die sie als Behagen oder als positive Zuwendung deuten kann. Und der Säugling erwacht eingebettet in dieses positive Miteinander-Fühlen, das nicht erst durch die gut funktionierende orale Versorgungsverbindung sekundär hergestellt wird.« 91
     
    Ein Mensch, der diese frühe von Sympathie geleitete Bindung erfahren hat, der auch später in sozialen Verhältnissen Geborgenheit erfährt, ist in aller Regel in der Lage, mit Angst vernünftig, vielleicht sogar produktiv umzugehen. Für das seelische Gleichgewicht und damit für die Selbstsicherheit ist nichts wichtiger als die Erfahrung verlässlicher und vertrauensvoller Beziehungen zu anderen Menschen. Die Bedingungen zu erhalten oder zu schaffen, unter denen die Menschen diese Erfahrung machen können, muss Teil einer klugen Sicherheitspolitik sein. Darum ist Kündigungsschutz, sind geregelte und auf Dauer angelegte Arbeitsverhältnisse, sind Mieterschutz und kommunikative Nachbarschaften so wichtig. Darum sollten die Mobilitätsanforderungen an die Menschen nicht leichtfertig immer weiter erhöht werden. Menschen brauchen einen Ort, an dem sie zu Hause sind, an dem sie sich auskennen und an dem man sie kennt. Jedenfalls gilt das für die allermeisten Menschen. Heimat in diesem Sinn braucht nicht eine Trutzburg zu sein, auch nicht eine provinzielle Idylle. Sie kann offen sein zur Welt, sie kann das Sprungbrett für kühne Unternehmungen sein. Sie kann jenes Maß an Selbstsicherheit vermitteln, das man braucht, um sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen.
     
    Die auf Ferdinand Tönnies zurückgehende idealtypische Unterscheidung zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft kann dazu verführen, diese beiden Gesellungstypen als sich ausschließende Möglichkeiten der Organisation des Zusammenlebens
anzusehen. Das erweist sich aber, wenn wir uns in die Niederungen der Lebenswirklichkeit begeben, als irreführend. In der gegenwärtigen Krise der verkürzten westlichen Rationalität ist es wichtig zu begreifen: Das Soziale, und d. h. auch soziale Sicherheit, ist ohne Gemeinschaftlichkeit nicht zu haben. Die Fragen, die in Zukunft beantwortet werden müssen, lauten: Wie kann Gemeinschaftlichkeit unter den neuen Bedingungen der Globalisierung gewährleistet werden? Was heißt und wie entsteht sozialer Zusammenhang in einer Weltgesellschaft?
     
    Der Aspekt der Selbstsicherheit und der soziokulturellen Sicherheit oder Geborgenheit ist auch deswegen so bedeutsam, weil nur Menschen, die selbstsicher sind und sich geborgen fühlen, nicht dem wahnhaften Streben nach immer perfekterer technisch-organisatorischer Sicherheit verfallen. Barbara Ehrenreich hat in ihrem Buch Dancing in the Streets gezeigt, was in einer Gesellschaft passiert, wenn die rituellen Formen der Geselligkeit, die ausgelassenen Feste, das

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