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Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Titel: Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johano Strasser
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Produktionsmittel und zentralstaatlicher Wirtschaftsplanung leiten lassen. Wenn wir aber dem Gesichtspunkt der Humanisierung der Arbeit und der Verkürzung der Erwerbsarbeitszeiten und damit der Gewinnung zusätzlicher Räume der selbsttätigen und solidarischen Gestaltung des Lebens durch die Menschen Vorrang einräumen, öffnet sich die Zukunft an einer Stelle, an der sie endgültig verbarrikadiert zu sein schien. Eine neue soziale Ordnung Europas und der Welt ist möglich, wenn wir uns von überholten Vorstellungen des Wirtschaftens und Arbeitens lösen.

6. Selbstsicherheit und soziokulturelle Sicherheit
    In seinem Buch Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem hat Franz-Xaver Kaufmann Anfang der siebziger Jahre beklagt, »dass sich selbst im Begriff der ›sozialen Sicherheit‹ die heutige Gesellschaft nicht über ihren Egoismus erhebt, sondern dass dieser vielmehr die Konsequenz einer Entwicklung darstellt, mit der jene Formen des ›Sozialen‹ dem öffentlichen Bereich abhandengekommen sind, welche die sinnhafte Integration des ›Gesellschaftlichen‹ und des ›Einzelnen‹ bisher zu leisten vermochten.« 89 Kaufmann rührt hier an den Kern des modernen Sicherheitsproblems, die unübersehbare Tatsache nämlich, dass unsere moderne Gesellschaft Sicherheit fast ausschließlich als Systemsicherheit zu gewährleisten trachtet und darüber die ebenso wichtigen, wenn nicht wichtigeren, Komponenten der Geborgenheit und der Selbstsicherheit sowie die Bedingungen, unter denen sie wachsen und bestehen können, weitgehend außer Acht lässt.
     
    Wenn, wie das heute der Fall ist, Sicherheit nahezu ausschließlich als Systemsicherheit verstanden wird und alle Anstrengungen fast ausschließlich darauf gerichtet werden, die technische Apparatur zur Verteilung spezifischer Risiken auf die Gesamtgesellschaft und zur Angleichung individueller Erfolgschancen auszuweiten, erst recht, wenn die sicherheitstechnische Fantasie vor allem darauf abzielt, mit hohem technischen Aufwand Gefahrenpotenziale nach Möglichkeit vorbeugend auszuschalten, so bleiben fundamentale Ursachen menschlicher Verunsicherung weitgehend unberührt. Die Vereinsamung vieler alter Menschen in unserer Gesellschaft, die Erosion des Vertrauens im Umgang miteinander, die Belastung
der Menschen durch exzessive Mobilitätsanforderungen, Leistungsstress und die ihnen oft abverlangte ständige Verfügbarkeit, die Tatsache, dass viele, insbesondere junge Menschen in den ihnen angebotenen beruflichen Karrieremöglichkeiten keinerlei Sinn und Erfüllung finden, die vielen Brüskierungen und Verletzungen in der sich verschärfenden Statuskonkurrenz, die massenhafte Entwertung von Lebensläufen durch Arbeitslosigkeit und forcierten Wandel – all das verlangt andere Antworten als die bloße Perfektionierung der bestehenden Sicherheitssysteme.
     
    In einer Gesellschaft, in der das kapitalistische Eigennutzdenken alle Sphären des menschlichen Lebens durchdringt und in der zunehmend alle menschlichen Beziehungen zu einem Nullsummenspiel verkommen, bei dem man nur gewinnen kann, wenn andere verlieren – in einer solchen Gesellschaft erodiert das für ein gelungenes Zusammenleben unerlässliche Vertrauen. Es entsteht eine Atmosphäre der sozialen Kälte, in der jeder bemüht sein muss, sich auf eigene Faust und im Notfall auch gegen andere einen Sicherheitsvorteil zu verschaffen. Die Überzeugung, dass letztlich alles Bemühen, sich auf diese Weise dem menschlichen Sicherheitsdilemma zu entziehen, scheitern muss, gehört seit Jahrtausenden zum Weisheitsvorrat der Menschheit. »Sich gegen Diebe, die Kisten aufbrechen, Taschen durchsuchen, Kästen aufreißen, dadurch zu versichern, dass man Stricke und Seile darum schlingt, Riegel und Schlösser befestigt, das ist’s, was die Welt Klugheit nennt. Wenn nun aber ein großer Dieb kommt, so nimmt er den Kasten auf den Rücken, die Kiste unter den Arm, die Tasche über die Schulter und läuft davon, nur besorgt darum, dass auch die Stricke und Schlösser sicher festhalten. So tut also einer, den die Welt einen klugen Mann nennt, nichts weiter, als dass er seine Sachen für die großen Diebe beisammenhält.« 90

     
    Ein Gleichnis, mehr als zweitausend Jahre alt. Es stammt von dem Chinesen Dschuang Dsi. Mir scheint, das Gleichnis gibt auch heute noch Sinn: In unserem Sicherheitswahn sind wir drauf und dran, alles, was im Leben wertvoll ist, dem »großen Dieb«, den anonymen Apparaten und ihrer

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