Gespräche mit Gott - Band 3
zerstört (es war ihr Sohn aus früherer Ehe), und ich konnte das Ganze einfach nicht verstehen. Warum sollten wir bloß wegen einer Auseinandersetzung meinen Bruder nicht lieben oder ihn am Weihnachtsabend nicht bei uns haben? Welche Meinungsverschiedenheit konnte so schlimm sein, daß sie das Weihnachtsfest ruinieren durfte, an dem doch sogar Kriege ausgesetzt werden? Das wollte mein kleines siebenjähriges Herz gerne verstehen.
Als ich älter wurde, lernte ich, daß nicht nur Ärger und Zorn, sondern auch die Angst den Fluß der Liebe zum Stocken bringen. Das war der Grund, warum wir nicht mit Fremden sprechen sollten – nicht nur, solange wir wehrlose Kinder waren, sondern auch als Erwachsene. Ich lernte, daß es einfach nicht in Ordnung war, offen und neugierig auf Fremde zuzugehen und sie zu begrüßen, sondern daß man, wenn man jemandem gerade vorgestellt worden war, gewisse Regeln der Etikette zu befolgen hatte – die für mich allesamt keinen Sinn ergaben.
Ich wollte alles über diese neue Person wissen und ich wollte auch, daß sie alles über mich erfuhr! Aber nein. Die Regeln besagten, daß wir warten mußten.
Und nun habe ich in meinem Erwachsenenleben gelernt, daß die Regeln, wenn es um Sexualität geht, sogar noch starrer und enger sind. Und ich begreife es immer noch nicht.
Ich stelle fest, daß ich einfach nur lieben und geliebt werden möchte – daß ich einfach jedermann so lieben möchte, wie ich es als natürlich empfinde und es sich für mich gut anfühlt.
Doch die Gesellschaft hat hier ihre Regeln und Vorschriften – und diese sind so starr, daß selbst wenn die andere beteiligte Person in eine Erfahrung einwilligt, die beiden Liebenden ein »Unrecht begehen« und somit zum Scheitern verurteilt sind, wenn die Gesellschaft nicht zustimmt.
Was ist das? Was hat es mit all dem auf sich?
N UN, DU HAST es schon selbst gesagt. Angst. Es hat alles mit Angst zu tun.
Ja, aber sind diese Ängste gerechtfertigt? Sind diese Beschränkungen und Einengungen angesichts der Verhaltensweise unseres Geschlechts nicht auch irgendwie angebracht? Ein Mann begegnet einer jüngeren Frau, verliebt sich in sie und verläßt seine Frau. Ich führe nur ein Beispiel an. Da steht sie nun mit neununddreißig oder dreiundvierzig, bleibt mit den Kindern und ohne Beruf allein zurück. Oder schlimmer noch, sie wird mit vierundsechzig von ihrem achtundsechzigjährigen Ehemann stehengelassen, der sich in eine Frau verknallt hat, die jünger ist als seine Tochter.
G EHST DU DAVON aus, daß dieser Mann aufgehört hat, seine vierundsechzigjährige Frau zu lieben?
Na, jedenfalls verhält er sich so.
N EIN. ES IST nicht seine Frau, die er nicht mehr liebt und der er entkommen möchte. Er möchte den ihm auferlegten Beschränkungen entfliehen.
Quatsch! Das ist schlicht und einfach sinnliche Begierde. Das ist ein alter Bock, der nur seine Jugend zurückzuholen versucht und mit einer jüngeren Frau Zusammensein will; der nicht imstande ist, seine Triebe zu zügeln und sein Versprechen gegenüber der Partnerin, die ihm in all den schwierigen und mageren Jahren zur Seite stand, einzuhalten.
N ATÜRLICH. DU HAST es perfekt beschrieben. Doch nichts, was du gesagt hast, ändert irgend etwas an dem, was ich gesagt habe. In praktisch jedem dieser Fälle hat dieser Mann nicht aufgehört, seine Frau zu lieben. Die Rebellion wird durch die Beschränkungen ausgelöst, die ihm seine Frau auferlegt – oder auch die jüngere Frau, die, wenn er bei seiner Frau bleibt, nichts mit ihm zu tun haben will.
Der Punkt, auf den ich hier hinauswill, ist der, daß die Seele immer gegen Beschränkungen rebellieren wird. Beschränkungen jeglicher Art. Das ist es, was den Funken jeder Revolution in der Menschheitsgeschichte entzündet hat und nicht nur einen Mann dazu bringt, seine Frau zu verlassen – oder eine Frau plötzlich veranlaßt, ihren Mann zu verlassen.
Du trittst hier doch sicher nicht für die völlige Abschaffung jeglicher Beschränkungen in bezug auf das Verhalten ein! Das wäre Anarchie. Gesellschaftliches Chaos. Du bist doch sicher nicht dafür, daß die Leute Affären haben – oder gar eine offene Ehe führen!
I CH BIN »FÜR« oder »gegen« gar nichts. Das Menschengeschlecht unternimmt ständig den Versuch, mich zu einem Gott zu machen, der »dafür« oder »dagegen« ist, und das bin ich nicht.
Ich beobachte nur, was ist. Ich sehe nur zu, wie ihr eure eigenen Systeme von Recht und Unrecht, Für und Dagegen erschafft.
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