Gesprengte Ketten
ihren krampfhaften Atemzügen. "Ich will nicht mehr. Ich..." Der Luf tmangel hinderte sie daran, weiter zu sprechen.
"Wenn ich ihr nur helfen könnte." Tobias Bauer stand wie ein Bild des Jammers am Bett seiner Frau.
Dr. Julian Marquard stellte seine Arzttasche auf die Kommode und öffnete sie. "Ganz ruhig, Frau Bauer", sagte er, während er eine Spritze aufzog. Sanft ergriff er den Arm der Kranken, desinfizierte ihn mit einem Alkoholtaps und setzte die Spritze.
Keuchend, dennoch voller Hoffnung, schaute ihm die Bäuerin zu.
Dr. Marquard setzte sich zu ihr aufs Bett, griff nach ihrer anderen Hand und fühlte den Puls. Zufrieden nickte er, als er spürte, wie sich die Kranke langsam entspannte. Die Farbe kehrte in ihr Gesicht zurück, ihr Puls wurde ruhiger, ihr Atem kam nicht mehr so keuchend.
"Wie sollen wir Ihnen nur danken, Herr Doktor?", fragte Tob ias Bauer. Langsam entspannte auch er sich. "Soll ich für Sie eine Tasse Kaffee machen?"
"Ja, eine Tasse Kaffee wäre fein", antwortete der Arzt. Er wollte ohnehin noch ein paar Minuten bei Agnes Bauer bleiben, um die Wirkung der Spritze noch weiter zu beobachten.
Tobias Bauer schlurfte in die Küche hinunter.
Agnes Bauer schloss die Augen. "Wenn diese Anfälle nicht so anstrengend wären", meinte sie. "Wenn ich um jeden Atemzug kämpfen muss, würde ich immer am liebsten gleich sterben." Sie verzog die Lippen zu einem zaghaften Lächeln. "Dabei lebe ich so gern. Hat Ihnen mein Tobias erzählt, dass unser Rainer endlich ein nettes Mädchen kennen gelernt hat?"
"Nein, dazu war noch keine Zeit", erwiderte der Arzt und bat sie, ihr Nachthemd zu öffnen, damit er sie abhorchen konnte.
"Oh, ist das kalt", beklagte sie sich, als das Stethoskop ihre Haut berührte
Tobias Bauer kehrte mit dem Kaffee zurück. "Ich habe ihn extra stark gemacht und Milch und Zucker hinein getan, Herr Doktor", sagte er. "Gott sei Dank, geht es der Agnes wieder besser." Er reichte dem Arzt den Kaffeebecher, dann ergriff er die Hand seiner Frau. "Du kannst einem Sorgen machen, Agnes", schalt er fürsorglich.
Julian nahm einen Schluck aus dem Becher. "Der Kaffee ist sehr gut, danke", sagte er.
"Was können wir tun, um derartig heftige Anfälle zu vermeiden, Herr Doktor?", fragte Tobias Bauer.
"Ganz wichtig ist, dass Ihre Frau jeden Morgen abhustet", e rwiderte der Arzt. "Und vergessen Sie bitte nicht, Ihre Medikamente und Ihr Spray regelmäßig zu nehmen, Frau Bauer. Sehr gut wäre es, wenn Sie ein paar Wochen an die See fahren würden. So eine Fahrt wirkt oft Wunder."
"Ich kann den Tobias nicht allein lassen, Herr Doktor", prot estierte die Kranke. "Zu zweit schaffen wir die Arbeit auf dem Hof eben mal so."
"Wenn der Herr Doktor sagt, dass du an die See musst, wirst du an die See fahren", erklärte ihr Mann. Scherzend fügte er hi nzu: "Noch bin ich der Herr im Haus."
"Das denkst auch nur du", meinte Agnes Bauer und zwinkerte dem Arzt zu.
Dr. Julian Marquard verabschiedete sich von den Bauers. Er wollte gerade in seinen Wagen steigen, als ihm Tobias Bauer noch eine Schachtel mit Eiern in die Hände drückte. "Das sind Frühstückseier, wie Sie bessere keine finden werden", versicherte er, als der Arzt ablehnen wollte. "Keine Widerrede!"
"Danke, wir werden uns die Eier schmecken lassen", sagte J ulian und setzte sich in den Wagen. Gleich darauf fuhr er vom Hof.
Auf der Fahrt nach Burghausen dachte er über die Bauers nach. Beide waren weit über die Sechzig und seit über vierzig Jahren verheiratet. Ihnen war es gelungen, sich ihre Liebe über die langen Jahre der Ehe hinaus zu bewahren. Es machte ihn glücklich, dass es auch solche Ehepaare gab und er hoffte, dass seine Frau und er sich ihre Liebe genauso bewahren würden.
Laura Marquard, eine hübsche, blonde Frau von zweiunddreißig Jahren, öffnete ihrem Mann die Haustür. Sie war inzwischen aufgestanden und hatte für ihn Kaffee aufgebrüht. Mit einem liebevollen Kuss begrüßte sie ihn. "Na, auf einem Raubzug gewesen, Julian?", scherzte sie amüsiert und nahm ihm die Schachtel mit den Eiern ab, um sie in die Küche zu bringen.
Amos trottete ihm entgegen. "Hallo , du Gauner." Julian beugte sich zu ihm hinunter und strich ihm über den Kopf.
Der Hund sah ihn vorwurfsvoll an, drehte sich herum und legte sich in seinen Korb.
"Sieht aus, als wäre er mit dir beleidigt", meinte Laura lachend.
"Sieht nicht nur so aus", erwiderte er und brachte seine Tasche ins Arbeitszimmer.
Seine Frau folgte ihm. "Möchtest du dich noch ein
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