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Geständnis

Titel: Geständnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bernd
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Chapter 1
     
    Der Küster von St. Mark hatte gerade eine dicke Schneeschicht
vom Gehsteig geschippt, als ein Fremder mit einem Gehstock
auftauchte. Die Sonne schien, aber der Wind blies in Sturmstärke,
und die Temperatur hatte sich um den Gefrierpunkt eingependelt. Der
Mann trug lediglich eine dünne Latzhose, ein Sommerhemd,
ausgetretene Wanderstiefel und eine leichte Windjacke, die der
Kälte kaum etwas entgegenzusetzen hatte. Aber das schien ihn nicht
zu stören, und er hatte es auch nicht eilig. Hinkend, leicht zur
linken, vom Stock gestützten Seite geneigt, schlurfte er an der
kleinen Kirche vorbei und auf eine Seitentür zu, auf der in
dunkelroten Buchstaben „Büro“ stand. Er klopfte nicht an. Die Tür
war unverschlossen. Beim Eintreten führ ihm ein heftiger Windstoß
in den Rücken.
    Das Empfangsbüro von St. Mark sah genauso vollgestopft und
verstaubt aus, wie man es in einer alten Kirche erwartete. In der
Mitte des Raumes stand ein Schreibtisch, an dem eine junge Frau
saß. Ein Namensschild wies sie als Charlotte Junger aus. Mit einem
Lächeln sagte sie: „Guten Morgen.“
    „ Guten Morgen“, erwiderte der Mann und schwieg einen
Augenblick. „Es ist sehr kalt draußen.“
    „ Allerdings.“ Sie musterte ihn rasch. Sein Problem war ganz
offensichtlich, dass er weder Mantel noch Handschuhe noch Mütze
trug.
    „ Ich nehme an, Sie sind Mrs. Junger“, sagte er mit einem Blick
auf das Schild.
    „ Nein, Mrs. Junger ist nicht da. Sie hat Grippe. Ich bin Dana
Schroeder, die Frau des Reverend. Ich helfe heute nur aus. Was
können wir für Sie tun?“
    Der Mann blickte hoffnungsvoll auf den einzigen freien Stuhl
im Raum. „Darf ich?“
    „ Natürlich.“
    Er setzte sich vorsichtig, als müsste er jede Bewegung in
Gedanken vorbereiten. „Ist der Reverend da?“, fragte er und sah zu
einer massiven Tür auf der linken Seite hinüber.
    „ Ja, aber er ist in einer Besprechung. Was können wir für Sie
tun?“ Sie war schlank, ihre Brüste zeichneten sich unter dem engen
Pullover ab. Alles von der Taille abwärts war hinter dem
Schreibtisch verborgen. Er hatte immer die Zierlichen bevorzugt.
Solche wie sie. Ebenmäßiges Gesicht, große blaue Augen, hohe
Wangenknochen, ein hübsches, adrettes Mädchen. Die perfekte kleine
Pastorenfrau.
    Es war so lange her, dass er eine Frau berührt
hatte.
    „ Ich muss unbedingt Reverend Schroeder sprechen.“ Er faltete
die Hände wie zum Gebet. „Ich war gestern in der Kirche und habe
ihn predigen hören, und ich ... nun ja, ich brauche seinen
Beistand.“
    „ Er hat heute viel zu tun“, sagte sie lächelnd. Sie hatte sehr
hübsche Zähne.
    „ Es ist wirklich dringend.“
    Dana war lange genug mit Reverend Keith Schroeder verheiratet,
um zu wissen, dass aus seinem Büro niemand weggeschickt wurde, ob
er nun einen Termin hatte oder nicht. Außerdem war es ein eiskalter
Montagmorgen, und so beschäftigt war Keith nun auch wieder nicht.
Ein paar Telefonate, die üblichen Krankenhausbesuche. Im Moment
führte er ein Gespräch mit einem jungen Paar, das die geplante
Hochzeit absagen wollte. Sie kramte auf dem Schreibtisch herum und
fand schließlich den kleinen Fragebogen, den sie gesucht hatte.
„Also gut. Ich brauche ein paar Auskünfte von Ihnen, dann sehen wir
weiter.“ Sie zückte einen Kugelschreiber.
    „ Danke.“ Er deutete eine Verbeugung an.
    „ Ihr Name?“
    „ Travis Boyette.“ Aus alter Gewohnheit buchstabierte er den
Nachnamen. „Geboren am 10. Oktober 1963 in Joplin, Missouri.
Vierundvierzig Jahre alt, alleinstehend, geschieden, keine Kinder.
Kein fester Wohnsitz. Keine Arbeit. Keine Zukunft.“
    Dana hörte zu, während sie die passenden Felder auf dem Blatt
suchte. Seine Antworten warfen weit mehr Fragen auf, als das
schlichte Formular vorsah. „Gut. Was die Adresse betrifft ...“,
sagte sie, ohne das Schreiben zu unterbrechen. „Wo wohnen Sie
zurzeit?“
    „ Zurzeit stehe ich unter der Obhut der Gefängnisbehörde des
Bundesstaates Kansas. Ich bin einem Übergangshaus in der
Seventeenth Street zugeteilt, nur ein paar Querstraßen von hier.
Bald werde ich entlassen. Es ist eine Resozialisierungsmaßnahme,
wie das so schön heißt. Ein paar Monate hier in Topeka, dann bin
ich ein freier Mann und darf mich darauf freuen, den Rest meines
Lebens auf Bewährung draußen zu sein.“
    Der Kugelschreiber hielt inne, aber Danas Blick blieb auf dem
Papier haften. Ihr Interesse an weiteren Antworten war schlagartig
versiegt, doch da sie mit dem Fragen

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