Geständnis
in eine neue Stadt. Man musste
sofort zur Polizei oder zum Gericht, um sich als Sexualtäter
registrieren zu lassen. Nach zwanzig Jahren ging man davon aus,
dass jeder Bescheid wusste. Dass jeder auf der Hut war. Boyette
wirkte nicht überrascht. „Verdammt schwer“, stimmte er zu. „Ich
weiß nicht mehr, wie oft ich zusammengeschlagen worden
bin.“
„ Travis, sehen Sie, ich bin nicht erpicht darauf, dieses Thema
zu diskutieren. Außerdem habe ich gleich noch ein paar Termine.
Wenn Sie wiederkommen möchten, rufen Sie vorher kurz an. Und ich
freue mich, Sie am Sonntag im Gottesdienst zu sehen.“ Keith war
nicht sicher, ob er das ernst meinte, aber er bemühte sich,
aufrichtig zu klingen.
Boyette zog einen gefalteten Zettel aus einer Tasche seiner
Windjacke. „Haben Sie je von dem Fall Donte Drumm gehört?“, fragte
er und reichte Keith das Blatt.
„ Nein.“
„ Ein junger Schwarzer, im Herbst 1999 wegen Mordes verurteilt,
in einer Kleinstadt in East Texas. Hat angeblich ein weißes Mädchen
getötet, sie war Cheerleader eines Highschool-Footballteams. Ihre
Leiche wurde nie gefunden.“
Keith faltete den Zettel auseinander. Es war die Kopie eines
Artikels aus der Lokalzeitung von Topeka, die das Datum des
gestrigen Sonntags trug. Er überflog ihn rasch und betrachtete das
Polizeifoto von Donte Drumm. An der Geschichte war nichts
Auffälliges. Eines von vielen Todesurteilen in Texas, einer von
vielen Verurteilten, die ihre Unschuld beteuerten. „Die Hinrichtung
ist für Donnerstag angesetzt“, sagte Keith und blickte
auf.
„ Ich verrate Ihnen was, Reverend. Die haben den Falschen. Der
junge Mann hat nichts mit dem Mord zu tun.“
„ Und woher wissen Sie das?“
„ Es gibt keine Beweise. Nicht ein einziges Beweisstück. Die
Cops waren der Meinung, er war's, haben ein Geständnis aus ihm
herausgeprügelt, und jetzt bringen sie ihn um. Das ist nicht
richtig, Reverend. Es ist einfach nicht richtig.“
„ Woher wissen Sie das alles?“
Boyette beugte sich näher zu Keith, als wollte er ihm etwas
zuflüstern, das er noch nie zuvor ausgesprochen hatte. Keiths
Pulsschlag beschleunigte sich. Aber es kam nichts. Kein Wort.
Wieder entstand eine lange Pause, in der die beiden Männer einander
unverwandt anblickten.
„ Da steht, die Leiche wurde nie gefunden“, sagte Keith, um
Travis zum Weitersprechen zu ermuntern.
„ Richtig. Die haben eine abstruse Geschichte konstruiert. Der
Junge soll das Mädchen gepackt, vergewaltigt, erwürgt und dann von
einer Brücke in den Red River geworfen haben. Alles völlig aus der
Luft gegriffen.“
„ Wissen Sie denn, wo die Leiche ist?“
Boyette setzte sich gerade auf und verschränkte die Arme vor
der Brust. Er nickte. Einmal, dann noch einmal. Wieder das nervöse
Zucken. Wenn er unter Druck geriet, trat es offenbar häufiger
auf.
„ Haben Sie sie umgebracht, Travis?“ Keith war von dieser Frage
selbst überrascht. Noch vor fünf Minuten hatte er im Geiste eine
Liste der Gemeindemitglieder gemacht, die er im Krankenhaus
besuchen musste. Er hatte überlegt, wie er Travis loswerden würde.
Und jetzt sprachen sie über Mord und eine verschwundene
Leiche.
„ Ich weiß nicht, was ich tun soll“, sagte Boyette, während ihn
erneut die Schmerzen übermannten. Er beugte sich vor, als wollte er
sich übergeben, und presste beide Hände an seinen Kopf. „Ich
sterbe, okay? Ich werde in ein paar Monaten tot sein. Aber warum
soll dieser Junge sterben? Er hat nichts getan.“ Seine Augen waren
feucht, seine Gesichtszüge verzerrt.
Keith beobachtete ihn während des Anfalls. Dann reichte er ihm
ein Papiertaschentuch und sah zu, wie er sich das Gesicht
abwischte.
„ Der Tumor wächst“, sagte Boyette. „Jeden Tag drückt er stärker
gegen die Schädelwand.“
„ Nehmen Sie Medikamente?“
„ Verschiedene. Aber sie helfen nicht. Ich muss jetzt
gehen.“
„ Ich glaube nicht, dass wir schon fertig sind.“
„ Doch, wir sind fertig.“
„ Wo ist die Leiche, Travis?“
„ Das möchten Sie nicht wissen.“
„ O doch. Vielleicht können wir die Hinrichtung
aufhalten.“
Boyette lachte. „Meinen Sie das im Ernst? In Texas?“ Er stand
langsam auf und klopfte mit dem Stock auf den Teppich. „Danke,
Reverend.“
Keith blieb sitzen und sah Boyette nach, der eilig aus dem
Zimmer schlurfte.
Dana starrte auf die Tür. Nach einem Lächeln war ihr nicht
zumute. Mühsam brachte sie ein „Wiedersehen“ heraus, nachdem
Boyette „Danke“ gesagt hatte. Dann war
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