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Geständnis

Titel: Geständnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bernd
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davon
geweigert, wieder zu gehen. Die Stadt hatte Klage wegen unbefugter
Nutzung erhoben, und in der Lokalzeitung war ein kompromittierender
Artikel erschienen.
    Das Thema seiner Predigt am Vortag war Vergebung gewesen -
Gottes grenzenlose und alles überstrahlende Macht, Sünden zu
vergeben, ganz gleich wie abscheulich sie waren. Travis Boyettes
Sünden waren entsetzlich, unfassbar und grausam. Sein
unmenschliches Verbrechen würde ihn mit Gewissheit in die ewige
Verdammnis führen. An diesem Punkt in seinem erbärmlichen Leben war
Travis überzeugt, dass es für ihn keine Vergebung gab. Und doch
wollte er es genauer wissen.
    „ Wir haben manchmal Männer aus dem Übergangshaus hier“, sagte
Keith. „Ich habe dort auch schon Gottesdienste gehalten.“ Sie
hatten sich in eine Ecke des Büros zurückgezogen, weit weg vom
Schreibtisch, zwei neue Freunde, die sich auf ausgeleierten
Klappstühlen gegenübersaßen und plauderten. Neben ihnen prasselten
falsche Holzscheite in einem falschen Kamin.
    „ Ist nicht übel da“, sagte Boyette. „Auf jeden Fall besser als
im Knast.“ Er war gebrechlich, und seine blasse Haut sah aus, als
hätte sie lange kein Tageslicht gesehen. Seine knochigen Knie
berührten sich, der schwarze Stock ruhte quer darüber.
    „ Und wo waren Sie im Gefängnis?“, erkundigte sich Keith, einen
Becher dampfenden Tee in der Hand.
    „ Mal hier, mal da. Die letzten sechs Jahre in
Lansing.“
    „ Wofür sind Sie verurteilt worden?“ Die Verbrechen würden Keith
mehr über den Menschen erzählen, den er vor sich hatte. Ging es um
Gewalt? Um Drogen? Schon möglich. Andererseits mochte Boyette auch
Gelder veruntreut oder Steuern hinterzogen haben. Er sah auf jeden
Fall aus, als könnte er keiner Fliege etwas zu leide
tun.
    „ Schlimme Dinge, Reverend. Ich weiß gar nicht mehr alles.“
Boyette mied den Augenkontakt. Sein Blick klebte am Teppich zu
ihren Füßen. Keith trank Tee und musterte sein Gegenüber
sorgfältig. Offenbar litt Boyette an nervösen Zuckungen. Alle paar
Sekunden kippte sein Kopf leicht nach links. Es war wie ein
leichtes Nicken, gefolgt von einem heftigeren Ruck, mit dem er den
Kopf wieder geraderichtete.
    Nach einer Weile absoluter Stille sagte Keith: „Worüber
möchten Sie gern reden, Travis?“
    „ Ich habe einen Hirntumor, Reverend. Bösartig, tödlich,
unheilbar. Wenn ich Geld hätte, könnte ich etwas dagegen tun -
Bestrahlung, Chemo, das Übliche - und würde vielleicht zehn oder
zwölf Monate gewinnen. Aber es ist ein Glioblastom Grad IV, das
heißt, ich bin so oder so ein toter Mann. Mir bleibt ein halbes,
vielleicht ein ganzes Jahr. Dann bin ich weg vom Fenster.“ Wie aufs
Stichwort meldete sich der Tumor. Boyette verzerrte das Gesicht und
beugte sich vor, um sich die Schläfen zu massieren. Sein Atem ging
schwer, der Schmerz schien in seinen ganzen Körper
auszustrahlen.
    „ Das tut mir sehr leid.“ Keith war klar, dass die Bemerkung
absurd und unpassend klang.
    „ Verdammtes Kopfweh“, sagte Boyette mit zugekniffenen
Augen.
    Ein paar Minuten lang, in denen kein Wort fiel, kämpfte er
gegen den Schmerz. Keith sah hilflos zu und biss sich auf die
Zunge, um nicht irgendetwas Unsinniges zu sagen, wie: „Soll ich
Ihnen ein Aspirin bringen?“
    Dann ließ der Anfall nach, und Boyette entspannte sich.
„Entschuldigung“, sagte er.
    „ Wann haben Sie die Diagnose bekommen?“, erkundigte sich
Keith.
    „ Ich weiß nicht mehr. Vor einem Monat vielleicht. Die
Kopfschmerzen fingen in Lansing an, im Sommer. Sie können sich
vorstellen, wie dort die medizinische Versorgung ist, ich bekam
also keine Hilfe. Erst als ich entlassen und hierhergeschickt
wurde, haben sie mich ins St. Francis Hospital gebracht. Dort
wurden Tests und Untersuchungen gemacht, und da hat man dann ein
hübsches kleines Ei mitten in meinem Kopf gefunden, genau zwischen
den Ohren, zu weit innen für eine OP.“ Er machte einen tiefen
Atemzug, stieß die Luft geräuschvoll aus und brachte sein erstes
Lächeln zustande. Links oben fehlte ihm ein Zahn, die Lücke war
auffällig.
    Offensichtlich ließ auch die zahnmedizinische Versorgung im
Gefängnis zu wünschen übrig.
    „ Sie haben bestimmt öfter mit Menschen wie mir zu tun“, sagte
er. „Menschen, die dem Tod ins Auge blicken.“
    „ Hin und wieder. Das bringt meine Arbeit mit sich.“
    „ Und diesen Menschen ist es dann bestimmt richtig ernst mit
Gott und Himmel und Hölle und dem ganzen Kram.“
    „ Allerdings. Das ist typisch

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