Gestaendnis im Orchideengarten
Handlanger seiner Tante in einem ihrer Hotels in London angefangen hatte. Er wurde von ihnen bezahlt, um ihre Unternehmen voranzubringen, um den Gewinn zu steigern oder die Rendite zu erhöhen, alles andere war unwichtig. Es ging ums Geschäft, nicht um sein Privatleben.
Und so wollte er es auch im Fall von Kingsmede Manor halten.
Er öffnete den Kofferraum, um seine Reisetasche aus Leder herauszuholen. Er hoffte, dass sich dieses Hotel wenigstens dadurch auszeichnete, ausnahmsweise nicht überall diese langweiligen Orchideen auszustellen, die im Augenblick dem internationalen Standard und Geschmack zu entsprechen schienen. Jedenfalls daran gemessen, wie viele Hotels weltweit diese komischen Pflanzen herumstehen hatten. Sein Ding waren sie nicht.
Gegen neun Uhr abends durchquerte Sara in ihren Riemchensandaletten das Foyer mit dem weißen Marmorboden. Am Fuß der weit geschwungenen Flügeltreppe hielt sie inne, um den Schriftzug auf dem vom Geländer herabhängenden roten Spruchband zu lesen. Sie musste grinsen.
„Hollywood Nights“ war das Motto, das in goldenen Lettern dort prangte. Nichts Geringeres als Hollywood, schon gar nicht an Helens Geburtstag.
Fröhlich den Kopf schüttelnd ging sie weiter und nahm dabei wahr, dass die prachtvollen Orchideen, die sie vor ein paar Tagen angeliefert hatte, sehr prominent platziert waren.
Diese Nachtfalterorchideen waren ein Traum. In der Mitte der elfenbeinfarbenen Blüte prangte die purpurne Lippe mit goldgelben Sprenkeln. Natürlich ahnte hier niemand, wie viel Mühe und Zeit sie in die Zucht eines solchen Prachtexemplars steckte. Das Ergebnis konnte sich jedenfalls sehen lassen. Zuerst hatte sie eine andere Sorte vorgeschlagen, doch der Veranstaltungsmanager bestand auf der Nachtfalterorchidee. Das zarte Elfenbein korrespondierte perfekt mit dem Holz der großen antiken Konsole im Foyer und dem goldverzierten Spiegel, der einst ihrer Großmutter gehörte.
Ihr brach es damals fast das Herz, als das schöne Familienmobiliar an fremde Menschen versteigert wurde. Doch in dem Fall hatte ihre Mutter recht behalten: Um gebührend zur Geltung zu kommen, mussten schöne Möbel in großen Räumen stehen, nicht in winzigen Wohnungen oder Cottages. Außerdem hatten sie das Geld damals dringend gebraucht.
Die neuen Eigentümer von Kingsmede Manor waren klug genug, sich bei der Versteigerung die schönsten Stücke zu sichern.
Durch die große Eingangstür wehte frische Abendluft herein. Neue Gäste waren eingetroffen, die Sara jedoch nicht kannte. Das war auch kein Wunder, denn vor drei Jahren war sie bereits aus London weggezogen, wo sie sich mit Helen eine kleine Wohnung geteilt hatte. Ihre Freundin war danach ins Schmuckdesigngeschäft eingestiegen und verkehrte nun in völlig anderen Kreisen.
Sara blickte in den Spiegel über den Orchideen und strich die kurzen Fransen aus der Stirn. Früher war sie ein echtes City Girl gewesen, hatte teure Klamotten und hochhackige Schuhe getragen und sich einen Luxusfriseur geleistet. Jetzt konnte sie froh sein, dass verwuschelte Kurzhaarschnitte wieder in Mode kamen.
Sie sah auf die Uhr und merkte, dass sie spät dran war. Sehr spät sogar. Wahrscheinlich wartete ihr komisches Date schon längst auf sie und fühlte sich von ihr versetzt. Oder fürchtete den Moment der Begegnung genauso wie sie?
Sie reckte das Kinn, setzte ein Lächeln auf und betrat den einstigen Salon ihrer Großmutter. Auf Zehenspitzen hielt sie über die Köpfe der anderen hinweg nach ihrer Freundin Ausschau.
Helen war kaum über eins fünfzig groß, und neben ihr fühlte sich Sara immer wie eine Bohnenstange. Deshalb hatte sie die flachen Sandaletten zu dem raffiniert einfachen schwarzen Abendkleid gewählt, das sie – nebst anderen schönen Dingen – von ihrer Großmutter geerbt hatte. Von Helen stammten die Perlenkette und eine große Sonnenbrille, das ebenfalls angebotene unechte Diadem hatte Sara jedoch abgelehnt. Die langen schwarzen Satinhandschuhe und eine Zigarettenspitze reichten ihr, um Audrey Hepburn für eine Nacht zu werden.
Am anderen Ende des Raumes winkte jemand aufgeregt.
Sara arbeitete sich durch die kostümierte Menge zu Helens Tisch an der offenen Terrassentür vor. Von draußen wehte ein lauer Abendwind herein, es war herrlich.
„Wie gut, dass du endlich hier bist“, rief Helen. „Wir müssen sicherstellen, dass wir den Karaokewettbewerb später wirklich gewinnen. Du bist die Einzige im Team, die wenigstens einen Ton halten
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