Geständnis
und die jährlichen
Aktenbilder aus dem Gefängnis, beginnend 1999 mit einem aufmüpfig
dreinblickenden Schuljungen, endend 2007 mit einem abgezehrten,
vorzeitig gealterten Siebenundzwanzigjährigen.
Als der Revisor fertig war, verließ Keith sein Büro und setzte
sich seiner Frau gegenüber, die im Begriff war, seine Ausdrucke zu
überfliegen. „Hast du das gelesen?“ Sie deutete auf einen
Papierstapel.
„ Wie denn? Das sind Hunderte von Seiten.“
„ Hör zu“, sagte sie und begann vorzulesen: „Die Leiche Nicole
Yarbers wurde nie gefunden. In manchen Gerichtsbezirken hätte das
zu einer Einstellung der Strafverfolgung geführt, nicht so in
Texas. Texas gehört zu den wenigen Bundesstaaten mit einem
ausgeklügelten Fallrecht, das für einen Mord keinen klaren Beweis
benötigt. Eine Leiche ist nicht zwingend notwendig.“
„ So weit bin ich nicht gekommen.“
„ Kann man das glauben?“
„ Ich weiß nicht, was ich glauben soll.“
Das Telefon läutete. Dana griff nach dem Hörer und erklärte
dem Anrufer, dass der Pastor nicht zu sprechen sei. Nachdem sie
aufgelegt hatte, sagte sie: „Also gut. Wie sieht unser Plan
aus?“
„ Es gibt keinen Plan. Der nächste Schritt, der einzige Schritt,
der mir jetzt in den Sinn kommt, ist, noch einmal mit Travis
Boyette zu sprechen. Wenn er zugibt, dass er weiß, wo die Leiche
ist oder war, bringe ich ihn dazu, den Mord zu
gestehen.“
„ Und wenn er das tut? Was dann?“
„ Keine Ahnung.“
Chapter 4
Der Privatdetektiv beschattete Joey Gamble drei Tage lang, ehe
er Kontakt zu ihm aufnahm. Gamble versteckte sich nicht und war
auch nicht schwer zu finden gewesen. Er arbeitete als
stellvertretender Leiter in einem riesigen Autoteilediscounter in
Mission Bend, einer Vorstadt von Houston. Es war seine dritte
Stelle in den letzten vier Jahren. Er hatte seine erste Scheidung
hinter und seine zweite vor sich. Seine zweite Frau und er lebten
getrennt und hatten sich mit ihren Anwälten in ihre Ecken des
Boxrings zurückgezogen. Es gab nicht viel, um das sie streiten
konnten, zumindest keine Vermögenswerte. Sie hatten ein Kind, einen
kleinen Jungen mit Autismus, und keiner von beiden war wirklich
scharf auf das Sorgerecht. Trotzdem stritten sie.
Die Akte über Gamble war so alt wie der Fall selbst, und der
Detektiv kannte sie auswendig. Nach der Highschool hatte der Junge
ein Jahr lang Football an einem Junior College gespielt, bis er die
Schule abbrach. Ein paar Jahre lang war er in Slone verschiedenen
Jobs nachgegangen, wobei er die meiste Zeit im Fitnessstudio
verbracht hatte, wo er Steroide nahm und sich Muskelberge
antrainierte. Er hatte damit geprahlt, Profi-Bodybuilder werden zu
wollen, dann aber die Lust am Trainieren verloren. Er hatte eine
junge Frau aus der Stadt geheiratet, sich scheiden lassen, war nach
Dallas gezogen und schließlich in Houston gelandet. Dem
Highschooljahrbuch des Jahrgangs 1999 zufolge hatte er geplant,
eine Rinderranch zu kaufen, falls es mit der Footballkarriere nicht
klappte.
Und es hatte nicht geklappt, ebenso wenig mit der Ranch. So
blickte Joey mit gerunzelter Stirn und Klemmbrett in der Hand auf
eine Palette Scheibenwischer, als der Detektiv sich bemerkbar
machte. In dem langen Gang war sonst niemand zu sehen. Es war
Montag, kurz vor zwölf Uhr, und der Laden war praktisch
leer.
„ Sind Sie Joey Gambler“, fragte der Detektiv mit einem knappen
Lächeln unter seinem dichten Schnurrbart.
Joey schielte auf das Plastikschildchen, das über der
Brusttasche seines Hemdes befestigt war. „Ja.“ Er versuchte, das
Lächeln zu erwidern. Hier ging es schließlich ums Verkaufen, und
der Kunde war König. Wobei dieser Typ nicht wie ein Kunde
aussah.
„ Mein Name ist Fred Pryor.“ Seine rechte Hand schnellte nach
vorn wie eine Boxerfaust, die auf den Bauch zielte. „Ich bin
Privatermittler.“ Joey ergriff die Hand reflexartig, fast so, als
wollte er sie abwehren, und ein paar unbehagliche Sekunden lang
schüttelten sie einander die Hand. „Freut mich, Sie
kennenzulernen.“
„ Gleichfalls“, erwiderte Joey in höchster Alarmbereitschaft.
Mr. Pryor war etwa fünfzig Jahre alt, hatte eine kräftige Brust und
ein rundes, hartes Gesicht. Seine grauen Haare sahen aus, als
bereiteten sie ihm jeden Morgen ziemlich viel Mühe. Er trug einen
gewöhnlichen dunkelblauen Blazer, eine hellbraune Polyesterhose,
die am Bund zusammengezogen war, und natürlich ein Paar
blitzblankgeputzte, spitze Cowboystiefel.
„ Was für
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