Gestatten, Bestatter! - Bei Uns Liegen Sie Richtig
konnten.
Eine halbe Stunde später sitzen wir im Wartebereich der Station. Man hat uns Kaffee gebracht, so richtig schönen geschmacksbefreiten Krankenhauskaffee. Frau Olugulade hat eine Spritze bekommen, und wir sollen ihr wenigstens eine gute halbe Stunde Zeit geben. Im Grunde ist es gar nicht die richtige Zeit und Gelegenheit, mit ihr zu sprechen. Man müsste bei ihr bleiben können, aber wir müssen wieder zurück. Pfarrer Schmidt und ich besprechen, dass wir der Frau vielleicht dadurch helfen, dass wir ihr sagen, dass sie sich zunächst um nichts Sorgen machen muss und dass wir uns kümmern werden. So machen wir es auch. Es ist das erste Mal, dass ich mit Frau Olugulade sprechen kann. »Wie kommt das, dass mein Mann tot ist, wie kommt das?« Wir versuchen es zu erklären, sitzen oft nur minutenlang schweigend da, sprechen ihr Mut zu, mehr können wir nicht tun.
Der Krankenhauspfarrer kommt dazu. Er macht überhaupt keinen senilen Eindruck, sondern ist sehr bestimmt. Er stammt aus Bayern, das hört man, er ist etwas laut, aber sehr lieb. Mit seinem weißen Bart sieht er ein bisschen aus wie ein Nikolaus in Schwarz. Wir schreiben alle unsere Telefonnummern auf, auch für Frau Olugulade fertigen wir einen Zettel aus. Daniel ist es, der nach fast anderthalb Stunden zum Aufbruch drängt – ich glaube, ihm wurde das alles zu viel.
Sie will den Kleinen nicht gehen lassen, eine Schwester muss sie halten, und erst als eine andere Schwester den frisch geschlüpften Benjamin bringt, bessert sich die Situation. Ich werde nie diese großen schwarzen Augen vergessen, mit denen sie uns hinterherschaute.
Als wir wieder daheim sind, erwartet uns meine Frau – sie hat Hähnchenflügel gebacken und Bier kaltgestellt. Das tut uns allen gut. Sie erzählt außerdem, dass die Birnbaumer-Nüsselschweif nach dem Unterricht vor der Schule gewartet habe und Daniel angeblich nur »was Schönes« schenken wollte. Unsere Kinder haben ihr aber gesagt, dass Daniel erst morgen zur Schule kommt, dann ist sie beleidigt abgezogen. Morgen werden wir Daniel hinbringen und auch wieder abholen. Nicht dass der noch vernüsselschweift wird.
Ein schrecklicher Tag. Ich bin froh, wenn ich nachher ins Bett gehen und den Tag beenden kann. Vorher noch »Dr. House« im Fernsehen anschauen und dann langsam in Richtung Federbett.
Der folgende Tag wird jedoch auch nicht viel besser, denn die Birnbaumer-Nüsselschweif macht jetzt Bambule. Sie hat nun neben Herrn Dr. Raps auch den Vorsitzenden des Heimatvereins und die halbe Kirchengemeinde gegen mich aufgebracht. Das Telefon steht praktisch nicht mehr still. Hinter teilweise scheinheilig vorgetragenen Hilfsangeboten lauert stets der Vorwurf, warum wir das Kind nicht in die richtigen Hände geben wollen. Aus dem Anruf der Müttervorsitzenden, also der Vorsitzenden des Mutterkreises der Kirchengemeinde, kann ich aber einen wichtigen Hinweis über die Beweggründe der Birnbaumer-Nüsselschweif entnehmen. Die habe nämlich vor acht Jahren eine Fehlgeburt erlitten, und mittlerweile sei für sie aus Altersgründen »der Zug abgefahren« – daher habe sie einen tiefen, aber unerfüllten Kinderwunsch. Ich weiß gar nicht, wie ihr Mann jetzt heißt, ist das der Herr Birnbaumer oder der Herr Nüsselschweif? Jedenfalls ist er wohl um beinahe zwanzig Jahre älter als seine mutternde Frau, und deshalb kommen die Birnbaumer-Nüsselschweifs angeblich für eine Adoption nicht mehr in Frage.
Sie habe sich daraufhin der Zucht von Yorkshire-Terriern hingegeben, das weitere Ausüben dieses Gewerbes sei ihr aber behördlicherseits untersagt worden. Sie habe ihre Zuchthündinnen zu oft »belegen« lassen, um möglichst oft und möglichst viele Welpen zu haben, von denen sie sich auch nur sehr schwer trennen konnte. Die Müttervorsitzende erzählt weiter, dass die Nüsselschweifs heute gar keine Tiere mehr hätten, und das sei doch eine ganz arme Frau, die ich jetzt so gemein behandeln würde.
Mann, ich reiße mich doch wirklich nicht um diesen kleinen schwarzen Jungen. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es ihm guttäte, käme er jetzt alle paar Tage in eine andere Familie. Der kleine Prinz von Zamunda hat sich ganz gut eingelebt und nutzt wie selbstverständlich die Gegebenheiten des Hauses. Meinen Kindern gegenüber benimmt er sich oft wie ein Feldwebel, der sofort beleidigt ist, wenn nicht alle nach seiner Pfeife tanzen. Es kann ihm nicht schaden, sich ein bisschen einfügen zu müssen, finde
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