Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song
Hände hinter seinem Rücken hervorriss und blitzschnell ein in seiner Hose verstecktes Langmesser mit versenkbarer Klinge zutage förderte, konnte sie ihn im ersten Augenblick bloß mit offenem Mund anstarren.
Coeo hielt sich gerade auf der anderen Seite der Brücke auf, und Karl – noch immer mit der Steuerungskonsole verkabelt – schien tief in seinen Gedanken versunken zu sein. Bera stieß einen lauten Schrei aus, als Thorir die Fesseln seiner Mitgefangenen durchtrennte. Dass er sich nicht sofort auf sie stürzte, gab ihr gerade noch die Zeit, die sie benötigte, um ihr Schwert zu ziehen und seinen ersten wilden Hieb abzublocken.
Zu ihrem Glück war seine Klinge nur dünn, um sich teilweise in den Griff zurückziehen zu lassen – die typische Waffe eines Meuchelmörders, schoss es ihr durch den Kopf, wie passend! –, sodass die Wucht, mit der sie auf Bera Schwert traf, nicht ausreichte, um ihr die Waffe aus der Hand zu prellen, auch wenn die Vibrationen ihre Rechte taub werden ließen. Sie wechselte das Schwert in die Linke über, und es gelang ihr, einen der Sessel zwischen sich und Thorir zu bringen.
In der kurzen Atempause, die sie sich durch das Manöver verschaffte, erhaschte sie einen flüchtigen Blick auf Karl, der das Verbindungskabel aus seinem Nacken riss und sich Orn zuwandte. Der Siedler machte einen verwirrten Eindruck. Coeo beschäftigte Arnbjorn und Ragnar, die nicht weniger irritiert wirkten. Alle hatten in ihrer Kleidung verborgen getragene Waffen gezogen, die der Thorirs ähnelten, doch die unerwartete Wendung des Geschehens schien sie zu überfordern.
»Los, kommt schon!«, schrie Thorir. »Wir schnappen uns das Mädchen, und schon wird der Junge tun, was wir von ihm verlangen, stimmt’s, Allman?« Als die anderen nicht sofort antworteten, brüllte er: »Was ist los, hat euch der Utlander die Eier geraubt?«
Verspätet und beinahe widerwillig, wie es Bera erschien, griffen sie in den Kampf ein.
»Erst einmal musst du mich lebend in die Finger kriegen, Thorir!«, keuchte sie, sprang aus der Deckung des Sessels hervor und stieß mit der Linken nach ihm, doch er war auf die Attacke vorbereitet und tänzelte in der niedrigen Schwerkraft leichtfüßig rückwärts. »Uh-oh, du ungezogenes Mädchen!«
Sie zog sich wieder hinter den Sessel zurück, wobei sie verzweifelt versuchte, das Taubheitsgefühl aus ihrem rech ten Arm zu schütteln, während sie gleichzeitig Thorirs Gegenangriff mit der Linken abwehrte. Jeder seiner Hiebe hinterließ eine Kerbe in ihrer Klinge, und jeder Aufprall jagte eine weitere Schockwelle durch ihren linken Arm, der sich langsam ähnlich taub wie der rechte anzufühlen begann.
Ihre einzige Hoffnung bestand darin, dass die Männer sie lebend in ihre Gewalt bekommen mussten. Notfalls konnte sie sich immer noch in ihre eigene Klinge stürzen – es war ja schließlich nicht so, dass man sie vermissen würde. Niemand außer Karl, dachte sie, der wahrscheinlich eine Weile traurig sein wird.
Doch ein trotziges Aufbegehren hielt sie davon ab, diesen feigen Ausweg zu wählen. Es waren diese Sturheit und die Tatsache, dass Thorir sich darauf konzentrierte, sie lediglich zu entwaffnen, die sie auch weiterhin mit einem letzten Hoffnungsschimmer erfüllten.
So tänzelten sie hin und her, den Sessel ständig zwischen sich haltend, Thorir grinsend, Bera keuchend, während im Hintergrund das Geschrei der anderen und das Klirren aufeinanderprallender Klingen ertönte. Die Brücke war von beißendem Schweißgestank und dem durchdringenden Geruch des Blutes erfüllt, das aus den zahllosen Schnittwunden aller Kämpfer quoll.
Gerade als ein weiterer Hieb Thorirs Bera beinahe das Schwert aus der Hand schlug, fühlte sie das Prickeln, mit dem die Taubheit aus ihrer Rechten zu weichen begann. Sie zuckte zusammen und schnappte nach Luft.
Thorirs Grinsen wurde breiter. »Gib auf, Kleines!« Es war das gleiche Grinsen, mit dem er sie in Skorradalur aufs Bett geworfen und ihr die Hose heruntergerissen hatte.
Bebend vor Wut, tastete sie mit der rechten Hand in ihrer Hosentasche herum und fand das Schälmesser, das sie am letzten Tag in der Wüste dort verstaut hatte. Irgendwie schaffte sie es, ihre immer noch nahezu gefühllosen Finger um den Griff zu schließen. Klirr! Ein weiterer Hieb gegen ihr Schwert, und sie spürte, wie es ihrer linken Hand zu entgleiten drohte.
Das Universum löste sich um sie herum auf, bis es nur noch aus Thorir und ihr bestand. Thorirs Zunge hing ihm weit
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