Gesundheit, Herr Doktor!
gefallen.»
Sir Lancelot schlug die in Glanzfolie gebundene Speisekarte auf. Der Bertram-Bunn-Trakt erfreute sich unter den Fachärzten des Rufes, das beste Essen ganz Londons zu bieten. Die Speisen stammten aus der Küche, die auch für die vom Volksgesundheitsdienst betreuten Patienten kochte, doch der Chefkoch des neuen Traktes stellte sich mannhaft und erfolgreich allen Herausforderungen, die physische Verfassung, religiöse Vorschriften und nationaler oder individueller Geschmack an ihn stellten. Neben seinem normalen Cordon bleu bot er ein Dutzend attraktiver Diäten an - kalorienarme, salzarme, proteinreiche, cholesterinarme, Diabetiker- und Zwölffingerdarmgeschwürkost, vegetarische Menüs, koschere, mohammedanische, kantonesische, pekinesische und indische. Da diese Speisenauswahl außerdem reichlich subventioniert wurde, zog der Institutsvorstand sie, sooft er konnte, der Fachärztekantine im St. Swithin vor. Seine Geldbörse, hieß es im Spital, sei ebenso schwer zu öffnen wie eine Auster mit Schließmuskelkrampf.
Sir Lancelot bestellte bei der jungen Kellnerin im grünen Pflegerinnenkittel Käsesandwiches und ein Glas Orangensaft. Der Institutsvorstand hingegen bestellte Entrecote garni und zusätzlich noch Gemüse. «Die Oberin hat übrigens schon wieder einen Nervenzusammenbruch gehabt», erzählte ihm Sir Lancelot.
«Ich wollte, sie wäre ein wenig widerstandsfähiger», erwiderte der Institutsvorstand gereizt. Er war klein und mager, hatte einen spitzen Kahlschädel und trug große runde Gläser unter seinen geraden, borstigen schwarzen Augenbrauen. Bei seinen häufigen und stürmischen Wutanfällen gerieten diese Brauen in heftige Bewegung und erinnerten Sir Lancelot dabei immer an den rituellen Tanz zweier haariger Raupen. «Aber für eine Oberin ist sie natürlich recht dekorativ», räumte der Institutsvorstand ein. «Und wenn man schon ein größeres Vermögen für ein Penthouse ausgibt, will man dort nicht von einer Person betreut werden, die wie eine Strandwächterin in einem nassen August aussieht.»
«Sie hat schon wieder mit dem Gehen gedroht. Aber sie wird’s nicht tun. Letzten Januar hat sie genau denselben Koller gekriegt. Das war, wie du dich vielleicht erinnerst, als ein neu aufgenommener Patient, begreiflicherweise völlig unvertraut mit den komplizierten Errungenschaften unserer Zivilisation, wie zum Beispiel einer Klimaanlage, mitten in seinem Zimmer ein Feuer entzündete, das er mit Spänen von den zerhackten Möbeln nährte. Sie hat sich auch wegen ihres Neffen Chipps aufgeregt. Ich nehme an, wenn ich ihn morgen noch einmal in Chirurgie durchfallen lassen muß, ist er erledigt?»
«Ganz entschieden. Ich kann in der Medizinischen Schule keine Faulheit dulden. Egal, wessen Neffen die Studenten sind, meinetwegen auch des Sozialministers.»
Sir Lionel Lychfield gehörte dem Dutzend Internisten des St. Swithin an. Doch als Vorstand des Medizinischen Instituts gebot er mit Macht und Strenge über seine Studenten. «Das ist ja das schlimme an der jungen Generation», fuhr er fort. «Faulheit, Mangel an Fleiß, kein Ziel vor Augen, völlige Gleichgültigkeit den Eltern und überhaupt jeder Autorität gegenüber. Natürlich sind nicht alle so», korrigierte er sich sofort. «Einige junge Leute sind absolut erstklassig. Sie stellen unseren Glauben an die kommende Generation, ja an die Menschheit im allgemeinen, wieder her. Faith, meine jüngste Tochter, zum Beispiel -»
«Du hast mir schon letzte Woche beim Lunch von deiner Tochter Faith erzählt», unterbrach ihn Sir Lancelot.
«So jung ist Faith noch! Knappe achtzehn Jahre alt. Und schon voll von ernsten Absichten und dem Gefühl der Berufung. Wie eine heranreifende Florence Nightingale.» Stolz nickte er dem Wandgemälde zu. «Faith raucht nicht, trinkt nicht, sie trägt keine Jeans und weiht ihr Leben der Hilfe der Unterprivilegierten -»
«Das sagtest du mir bereits vor einer Woche -»
«Weißt du, was sie während dieses ganzen Monats getan hat? Drunten in Fulham hat sie in einem armseligen Obdachlosenheim, einer Art Barackenlager, gearbeitet und gehaust. Für einen Hungerlohn - ich muß sagen, diese freiwilligen Hilfsorganisationen beuten die Gutmütigkeit von Mädchen wie Faith regelrecht aus. Sie setzt sich mit den vollen Kräften ihres gütigen und altruistischen Wesens für die heruntergekommenen Menschen ein, die man am Themseufer und an ähnlichen Orten aufstöbert. Ich habe allerdings den Verdacht, daß die meisten
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