Gesundheit, Herr Doktor!
Ende —» Sie hielt ihn in der offenen Tür zurück. «Es handelt sich um Pip. Sie wissen doch, Philip Chipps. Den Jungen meiner älteren Schwester. Morgen vormittag tritt er zur klinischen Prüfung seines Chirurgie-Schlußexamens an.»
«Dazu kann ich ihm nur Hals- und Beinbruch wünschen.»
«Ach, tun Sie doch nicht so blasiert.» Sie wurde wieder temperamentvoll. «Sie wissen ganz gut, daß es die letzte Chance des armen Jungen ist. Dreimal haben Sie ihn schon durchfallen lassen. Wenn er diesmal nicht durchkommt, wird er auf Nimmerwiedersehen aus dem St. Swithin hinausgeworfen. Ihr alle behandelt ihn schrecklich ungerecht. Oberflächlich betrachtet, mag er ja etwas labil wirken, aber daran ist sein Vater schuld, der an seiner Schmetterlingssammlung mehr interessiert ist als an seiner Praxis. Pip ist im Grunde äußerst seriös und geht völlig in seiner Arbeit auf.»
«Möglich. Aber als Chirurg wäre er mit einem ganz besonderen Nachteil behaftet: Er zieht Unglücksfälle magnetisch an.»
«Das hat nichts zu bedeuten», gab sie zurück. «Denn er beabsichtigt sowieso Psychiater zu werden, wenn er einmal qualifiziert ist. Das sieht Ihnen ähnlich, Lancelot. Sie entscheiden sich dafür, jemanden oder etwas abzulehnen, und nichts vermag Sie von ihrer Meinung abzubringen. Es ist wie bei allen anderen Dingen hier im Spital, von Cholesterinspiegelproben angefangen, bis zu Ihrem Kaffee.»
«Ich kann mich genau an den Augenblick erinneren, da ich mir über Pip meine Meinung bildete, wie Sie das nennen. Als ich nämlich entdeckte, daß es Ihr Neffe war, der vom Kaltwasserhahn einen Schlauch in meinen linken Stiefel gesteckt hatte, während ich in eine schwere Operation vertieft war.»
«Das ist ja die zweite Tragödie des armen Pip. Er ist so leichtgläubig und gutmütig, daß er immer wieder zum Narren gemacht wird. Diese zwei abscheulichen Burschen Havens und Raffles - die sich zu meinem Entsetzen jetzt als Hausärzte hier herumtreiben - haben ihn dazu angestiftet, indem sie Pip weismachten, Sie selbst hätten das angeordnet, um Ihre Füße immer angenehm kühl zu halten.»
«Solcher Schwachsinn könnte wirklich die Voraussetzung für eine glänzende Karriere als Psychiater sein. Doch ein Prüfer muß immerhin die - wenn auch beängstigende - Möglichkeit ins Auge fassen, daß der Prüfling einmal praktische Medizin betreibt.»
«Sorgen Sie, bitte, dafür, daß er durchkommt», sagte die Oberin und schlug die Tür zu.
Sir Lancelot schüttelte den Kopf und bahnte sich durch die herumhockenden und in ihr Essen vertieften Familien einen Weg zum Lift. Manchmal geriet sogar sein eisengepanzertes Ich in Gefahr zu schmelzen.
2
«Guten Morgen, Solly», begrüßte Sir Lancelot den Hautspezialisten des Swithin, als ihre Wege sich in der Tür des Speisesaals kreuzten. «Ich hoffe, daß Sie bei unseren Kunden nicht auf Zahlungsschwierigkeiten stoßen.»
«Die Araber gehören zu meinen besten Patienten», erwiderte Dr. Cohen.
Der Speiseraum des Ärztestabes im Bertram-Bunn-Trakt war im ersten Stock gelegen, gartenseitig, klein und hell. Eine allegorische Wandmalerei schmückte ihn, die Charles Hill von der Britischen Ärztevereinigung und Nye Bevan bei der Inauguration des Volksgesundheitsdienstes im Jahre 1948 darstellte. Beide waren ä la Florence Nightingale wiedergegeben: mit Lampen in der Hand schritten sie beruhigend Reihen von Leidenden mit qualvoll verzerrten Gesichtern ab, aber niemand konnte sagen, ob es sich dabei um Patienten oder um Ärzte handelte. Sir Lancelot wählte seinen Sitzplatz immer so, daß er diesem Gemälde den Rücken zuwandte.
«Hallo, Lancelot, was führt dich hierher?» fragte Sir Lionel Lychfield, Vorstand des Medizinischen Instituts am St. Swithin, und blickte von der Times auf, als sich der Chirurg an einem benachbarten Tisch niederließ.
«Der doppelseitige Leistenbruch des Scheichs von Schatt al Schufti. Als Zugabe habe ich noch seinen Wasserbruch operiert. Ich wollte die Brüche eigentlich als Stoßdämpfer für das Kamelreiten auf sich beruhen lassen, aber der Bursche bewegt sich ja schon seit Jahren nur noch in einem Rolls Royce von der Stelle. Hoffentlich wird er deshalb nicht böse auf mich. In seiner Heimat bestraft er Diebe, indem er ihnen die Hand abschlagen läßt. Andere Missetäter werden wohl mit der Entfernung anderer, jeweils adäquater Körperteile bestraft. Der Blick seiner beiden Leibwächter, die vor dem Operationssaal herumschlichen, wollte mir gar nicht
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