Getrieben: Thriller (German Edition)
Tiefe!«
Brunner deutete mit der Hand auf die Bergsteiger weiter unten. »Wenn ich seinen Sturz nicht aufhalte, bringt er die anderen in Lebensgefahr. Sie werden ihn erst bemerken, wenn es zu spät ist. Nun mach schon! Schau, dass die Schraube fest sitzt.«
Castillo tat wie geheißen. Entschlossen hangelte Brunner sich ein Stück seitwärts über die Eiswand, um dem Amerikaner den Weg abzuschneiden. »Sitzt die Schraube?«, rief er.
»Eine Sekunde noch!«
Vergeblich versuchte der Amerikaner, Halt zu finden. Jedes Mal, wenn er gegen den Fels prallte, stöhnte er laut. Brunner sah, dass seine Augen weit aufgerissen waren. Kaum zu glauben, dass der Mann überhaupt noch bei Bewusstsein war. Vorsichtig rammte Brunner die Frontalzacken der Steigeisen ins Eis und hangelte sich noch ein Stück weiter nach links.
Der Amerikaner knallte gegen einen Felsvorsprung und wurde wieder in die Luft geschleudert. Kopfüber stürzte er auf Brunner zu.
»Michael!«, rief Brunner.
Der Amerikaner streckte die Arme nach Brunner aus. Mit beiden Händen griff Brunner nach ihm und bekam ihn an der Taille zu fassen. Die Wucht des stürzenden Körpers riss Brunner aus der Wand. Der Franzose stürzte kopfüber in die Tiefe, hielt dabei aber den Amerikaner mit beiden Armen weiter fest.
Ihr Sturz wurde abrupt vom Sicherungsseil gestoppt. Durch den Ruck entglitt der Amerikaner Brunners Griff und rutschte weiter über das Eis. Brunner griff nach dem Bein des Amerikaners und erwischte ihn mit einer Hand am Fußgelenk. Das Gewicht des Mannes riss ihm den Arm aus dem Schultergelenk. Brunner stieß einen lauten Schmerzensschrei aus, hielt den Fuß des Amerikaners aber mit eisernem Griff umklammert.
Eine gefühlte Ewigkeit hingen die beiden Männer kopfüber in der Wand, bis Castillo endlich zu ihnen heruntergeklettert war. Nachdem er die beiden Männer gesichert hatte, schlug er eilig ein Notbiwak auf. Aus einer Platzwunde am Kopf des Mannes lief unaufhörlich Blut, und eine seiner Pupillen war deutlich geweitet.
»Kannst du mich hören?«, fragte Brunner.
Der Amerikaner stöhnte und verzog das Gesicht zu einem gequälten Grinsen. »Danke, Kumpel. Wie’s aussieht, verdanke ich dir mein Leben.«
Brunner gab keine Antwort.
»Warum hast du dich da oben vom Seil losgemacht?«, fragte Castillo.
»Ging nicht anders«, erwiderte der Amerikaner.
»Warum nicht?«, fragte Brunner.
»Musste alles aufstellen.«
»Was soll das heißen, ›musste alles aufstellen‹?«, fragte Castillo hörbar verärgert.
Der Amerikaner murmelte ein paar unverständliche Worte.
»Los, Mann, red schon«, fuhr Castillo ihn an.
»Befehle, Mann. Befehle.« Der Amerikaner verdrehte die Augen und verlor das Bewusstsein.
»Befehle? Wovon redet der Kerl bloß?« Wütend griff Castillo sich den Rucksack des Amerikaners und öffnete ihn. »Ach du Scheiße.«
»Was gefunden?«, fragte Brunner.
Wortlos zog Castillo einen länglichen Karton aus dem Rucksack, auf dem an einer Seite »Eigentum des U. S. Verteidigungsministeriums« stand.
Brunner und Castillo sahen sich an. »Das Ding wiegt locker zwanzig Kilo«, schätzte Castillo. »Trotzdem hat er uns auf dem Weg zum Gipfel gnadenlos abgehängt. Hast du eine Ahnung, was das sein könnte?«
Brunner schüttelte den Kopf. Dann riss er den Blick von dem Karton los und starrte auf den Sérac über ihnen. Dieses Mal musste er Castillo nicht fragen, ob auch er das Geräusch hörte. Das beunruhigende Jaulen war jetzt genau über ihnen. Es war das ohrenbetäubende Dröhnen eines Düsenflugzeugs mit Triebwerksschaden.
Ein Schatten schob sich vor die Sonne. Dann sah er es – und ihm blieb die Luft weg.
Claude Brunner war klar, dass sie dem sicheren Tod ins Auge blickten. Ihnen blieben höchstens noch ein paar Minuten.
Das Flugzeug flog direkt über ihre Köpfe hinweg. Eine der Tragflächen kam dem Gipfel so nahe, dass sie Stücke aus dem Eis schnitt. Schnee und Eis wurden hoch in die Luft gewirbelt. Grelle Flammen schlugen aus einem der Motoren. Während Brunner noch gebannt auf die Maschine starrte, gab es plötzlich einen lauten Knall. Das brennende Triebwerk war explodiert. Das Flugzeug kippte nach links ab und ging in Sturzflug über. Brunner erkannte, dass es sich um eine amerikanische B-52 Stratofortress handelte. Von der Unterseite der Tragfläche prangte ihm ein großer weißer Stern entgegen.
Einen Moment lang bekam der Pilot die Maschine wieder unter Kontrolle. Die Nase hob sich, und das Jaulen ließ nach. Doch dann
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