Getrieben: Thriller (German Edition)
löste sich die rechte Tragfläche vom Rumpf. Das geschah so glatt und schnell, dass es aussah, als wäre es ganz normal. Ein paar Sekunden lang setzte die Maschine ihren Flug am strahlend blauen Himmel fort, als wäre nichts geschehen. Doch dann begann die Maschine zu trudeln und raste im Sturzflug auf die Berge in der Ferne zu. Teile lösten sich vom Rumpf. Große zylindrische Gegenstände schossen durch die Luft. Die Motoren heulten auf wie ein verendendes Raubtier.
Fünf endlose Sekunden vergingen, bis das Flugzeug gegen einen rund drei Kilometer entfernten Berg prallte. Brunner sah den gigantischen Feuerball, noch bevor er die Explosion hörte. Erst etwas später drang der gewaltige Knall an seine Ohren.
Brunner sah über die Schulter zu der riesigen Wechte über ihnen. Der Sérac! Der Berg erbebte.
Der Sérac brach ab. Zwei Millionen Tonnen Eis und Schnee setzten sich in Bewegung.
Das Letzte, was Brunner sah, war eine gigantische weiße Wand, die auf ihn zu raste.
Im strahlenden Licht der Morgensonne funkelte der Schnee wie lupenreine Diamanten.
1.
Provinz Kabul, Afghanistan
In der Gegenwart
Bei Tagesanbruch brachten sie sich in Stellung.
Männer, Pferde und Wagen bildeten auf dem ausgedörrten braunen Boden eine hundert Meter breite Angriffslinie. Neben den Reitern und Jeeps waren auch Pick-ups mit schweren Maschinengewehren auf den Ladeflächen. Sie waren nur fünfzig Mann gegen ein Dorf mit hundertmal so vielen Einwohnern, aber sie waren bis zum Äußersten entschlossene Krieger, geeint in dem Bund, im Auftrag Gottes zu töten. Die Söhne des Tamerlan.
Der Anführer stand auf der Ladefläche seines Pick-ups und beobachtete das Dorf durch ein Fernglas. Er war groß und athletisch gebaut. Auf dem Kopf trug er einen hohen schwarzen Wollturban. Das herabhängende Ende des Stoffes hatte er sich zum Schutz gegen die beißende Kälte fest über Mund und Nase gewickelt. Sein Name war Sultan Haq, und er war dreißig Jahre alt. Sechs Jahre seines Lebens hatte er in Haft verbracht. Dreiundzwanzig Stunden am Tag war er damals an einem heißen Ort Tausende Kilometer von hier entfernt in einen engen sauberen Käfig gesperrt gewesen. In Anlehnung an seinen Namen und weil seine Fingernägel so lang und scharf waren wie die Krallen eines Raubvogels, hatten seine Peiniger ihn »Habicht« genannt.
Aufmerksam betrachtete der Habicht die gedrungenen Lehmhäuser, die sich in zwei Kilometer Entfernung an den Fuß des Berges schmiegten. Trotz des Frühnebels konnte er das geschäftige Treiben auf dem Dorfbazar erkennen. Verkäufer legten ihre Waren aus, über Kohlefeuern brutzelten zahlreiche zum Verkauf angebotene Speisen, Kinder und Hunde tollten durch die Gassen.
Sultan Haq ließ das Fernglas sinken und warf einen prüfenden Blick auf seine Männer. Rechts und links neben ihm standen jeweils sechs nahezu identische Pick-ups, alte Allrad-Toyotas, mit je einem 30-mm-Maschinengewehr. Seine Männer hockten mit geladenen Kalaschnikows und umgehängten ledernen Patronengurten daneben. Etliche von ihnen hatten noch Panzerfäuste aus der Zeit der Sowjetunion. Zwischen den Wagen scharrten gut zwanzig Pferde mit Schaum vor den Nüstern nervös mit den Hufen. Die Reiter hielten ihre tänzelnden Pferde fest am Zügel und warteten geduldig auf das Signal zum Angriff.
Keiner der Männer trug eine Uniform. Ihre Kleidung war zerlumpt und staubig. Trotzdem bildeten sie eine stolze Armee. Sie waren zusammen ausgebildet und gedrillt worden. Sie hatten gemeinsam gekämpft und Blut vergossen. Sie waren Kämpfer ohne die geringste Spur von Mitgefühl.
Sultan Haq hob die Hand. Sofort entsicherten die Schützen die MGs. Das metallische Klicken der Waffen hallte bedrohlich über die Einöde. Die Pferde wieherten verängstigt. Haq ballte die Faust. Seine Männer stießen einen wilden Kriegsschrei aus und sprangen auf. Haq warf den Kopf zurück und stimmte in das Gebrüll mit ein. Er spürte, wie der Geist seiner Ahnen von ihm Besitz ergriff. Vor seinem inneren Auge sah er die angreifende Horde. Das Donnern der Hufe dröhnte ihm in den Ohren, die gezückten Schwerter blitzten in der Morgensonne, und der beißende Geruch der brennenden Hütten erfüllte die Luft. Die angsterfüllten Schreie der Besiegten mischten sich unter das Triumphgebrüll der Krieger, und der süße Geschmack des Todes legte sich ihm auf die Zunge.
Haq öffnete die Augen und kehrte zurück in die östlichen Steppen Afghanistans. Kraftvoll schlug er mit der Faust auf das
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