Gewagt - Gewonnen
überdurchschnittlich gewesen.
„Ich hatte mir eigentlich eine etwas hellere Farbe gedacht“, sagte die Frau Generalkonsul.
„Da haben wir, glaube ich, das Richtige… einen kleinen Augenblick, gnädige Frau…“, sagte Frau Liberg und ging zu der Vitrine mit den Modellen.
Am schlimmsten war, daß die Überzeugung, alle anderen wären so viel tüchtiger als sie, bei Astrid einen richtigen Minderwertigkeitskomplex entwickelt hatte. Es tat der Mutter weh, ihre resignierte Stimme zu hören, wenn sie sagte: „Ich bin nun einmal nicht begabt genug“, oder: „Du weißt ja doch, wie dumm ich in der Schule war“ – oder wenn Hein mit der ganzen Grausamkeit seiner sechzehn Jahre zu ihr sagte: „Du hast nun mal ‘ne lange Leitung, Astrid.“
Knisternde blaue Seide wurde über den Kopf der Frau Generalkonsul gestreift. Sie betrachtete sich kritisch im Spiegel. „Wenn hier etwas ausgelassen wird…“
„Ja, das läßt sich gut machen, gnädige Frau; die Nähte sind trotzdem noch breit genug…“
Aber es war dummes Gerede, daß Astrid zu nichts taugen sollte. Sie war so ordentlich, so zuverlässig bei allem, was sie unternahm, so durch und durch solide. Frau Liberg war überzeugt, daß Astrid sich gut bewähren würde, wenn sie nur auf den richtigen Platz käme.
Und dies hier mußte der richtige Platz für sie sein!
Astrid zog die Hände aus dem Waschbottich und trocknete den Seifenschaum ab, bevor sie den Hörer von der Gabel nahm. „Oh, guten Tag, Tante Hildur!… Ob ich schon… Nein, ich habe noch keine Zeit gehabt, die Zeitung zu öffnen… So? Hast du das?… Ja, ich werde nachsehen… Nein, daran habe ich noch nie gedacht… Ja, Tante, ich werde gleich mal in die Zeitung blicken… Und vielen Dank auch, Tante, daß du angerufen hast… Ja, danke… Fein!… Aber entschuldige, Tante, ich habe einen Topf mit kleiner Wäsche auf der Platte stehen… ja, Tante… ich werde sofort nachsehen…“
Soso – Tante Hildur hatte also eine Stelle für sie gefunden. Eine Stelle? O ja, das wäre sicher eine Erleichterung für die Familie. Astrid lächelte etwas bitter, als sie den Topf mit der Wäsche beiseite schob und ins Wohnzimmer ging, um in die Zeitung zu schauen.
Bevor sie aber noch einen Blick hatte hineinwerfen können, läutete das Telefon schon wieder.
„Hallo, Astrid!… Hier ist Helga. Du, hast du die Zeitung gesehen? Die Anzeige von Tierarzt Mostvedt? Du, wäre das nicht etwas für dich? – Nun hör aber auf, du! Du mit deinen Minderwertigkeitskomplexen! Ist ja einfach nicht auszuhalten! Sieh mich an! Habe ich etwa Minderwertigkeitskomplexe? Was, glaubst du, wäre wohl aus mir geworden, wenn ich nicht zufällig von zu Hause durchgebrannt wäre und geheiratet hätte?… Also, nun rede keinen Unsinn, Astrid! Hier bietet sich dir die Möglichkeit zu einer Arbeit, die dir liegt. Und nun überlege nicht erst lange, sondern mach dich sofort auf die Strümpfe! Das hier ist genau der richtige Platz für dich… Sei endlich mal vernünftig, hörst du? – Aber entschuldige. Ich friere. Ich habe nichts weiter an als den Morgenrock, und das Fenster steht auf. Sieh dir die Anzeige an, und dann nichts als los! Morgen, Astrid! Mach’s gut!“
Als das Telefon schließlich zum dritten Male läutete, seufzte Astrid. Bangte denn tatsächlich die halbe Stadt um ihre Zukunft? Und atmete die halbe Stadt nun erleichtert auf, weil sich endlich eine Gelegenheit zu bieten schien, die arme Astrid unterzubringen?
„Bist du es, Mutti?“ sagte Astrid. „Du rufst doch wohl nicht an, um meine Aufmerksamkeit auf die Anzeige von Tierarzt Mostvedt zu lenken?“
„Wie kannst du das wissen?“
„Weil das Telefon keinen Augenblick Ruhe gibt. Alle Menschen wollen mich durchaus bei Tierarzt Mostvedt unterbringen.“
„Ja, aber, liebes Kind, ist das nicht eine ganz ideale Sache für dich, wo du dich doch so gut mit Tieren verstehst? – Ja, ich wollte dich bloß darauf aufmerksam machen. Aber Schluß jetzt, Astrid, ich bin mal eben schnell weggerannt… die Schneiderin sieht gerade Frau Fredenhjelms Kleid an… wir sprechen uns später, mein Kind.“
Glücklicherweise gab das Telefon jetzt einen Augenblick Ruhe, so daß Astrid endlich in die Zeitung blicken konnte. Sie suchte unten auf der letzten Seite. Da stand es:
„Saubere und ordentliche junge Dame, Tierfreundin, mit Büroarbeit etwas vertraut, findet Stellung bei Tierarzt Mostvedt. Persönliche Vorstellung zwischen 1 und 2.“
Astrid ließ die Zeitung
Weitere Kostenlose Bücher