Gewagt - Gewonnen
besetzt.“
„Oh?“ sagte das junge Mädchen. Sie blickte auf ihre Armbanduhr. „In der Anzeige hieß es: zwischen 1 und 2 Uhr – und es ist erst fünf Minuten vor 1.“
Da sie keine Antwort bekam, rümpfte sie ein wenig die Nase und zog sich wieder zurück.
Mostvedt und Astrid blickten einander an und lächelten. Astrid hatte plötzlich das Gefühl, als wären sie Verschworene. Mostvedt blinzelte Astrid zu. Da machte sie die Entdeckung, daß in seinen Augenwinkeln ein Schelm lauerte.
„Fehlstart!“ sagte Mostvedt.
Hier bei Tierarzt Mostvedt…
„Fräulein Liberg, schauen Sie doch bitte einen Augenblick herein!“
Astrid, die im Wartezimmer an dem kleinen Schreibtisch saß, stand auf und ging in das Sprechzimmer.
„Könnten Sie wohl dieses kleine Ding hier halten und überreden, seinen Mund zu öffnen?“
Das kleine Ding war ein halb erwachsenes Kätzchen, das sehr energisch gegen jede Form der Behandlung protestierte.
Die Besitzerin liebte das kleine Wesen zärtlich und war fürchterlich aufgeregt.
„Ich habe ja zuerst gar nichts davon gemerkt“, jammerte sie. „Erst als sie zu schreien anfing und sich mit den Pfoten im Gesicht herumfuhr, wurde ich aufmerksam. Ich versuchte, ihr den Mund zu öffnen, aber sie biß zu und riß sich los, und ich wagte es nicht, ihr den Finger in den Hals zu stecken.“
„Fischgräte?“ fragte Astrid.
Ja, das mußte es wohl sein.
Sie nahm die Katze auf den Arm. Zuerst fauchte sie ein wenig, aber dann besann sie sich anders und machte sogar einen schwachen Versuch zu schnurren, als Astrid sie hinter dem Ohr kraulte.
„Mach‘s Mäulchen auf!“ sagte Astrid lächelnd und schob ihr sanft einen Finger ins Maul.
„Seien Sie vorsichtig!“ sagte die Besitzerin. „Sie beißt!“
„Vorläufig nicht“, sagte Astrid. Sie hielt die Katze mit der linken Hand im Nackenfell gepackt, während diese fragend und neugierig an dem kleinen Finger ihrer rechten Hand saugte.
Da schob ihr Astrid unbemerkt noch einen zweiten Finger ins Maul, und im nächsten Augenblick war dieses weit geöffnet. Blitzschnell war der Tierarzt mit Hohlspiegel und Pinzette zur Stelle, und wenige Sekunden später war die scheußliche Gräte entfernt.
„Sie haben vor Tieren keine Angst“, sagte die Besitzerin des Kätzchens vergnügt und erleichtert, als sie ihren Liebling glücklich wieder in ihrem Tragkorb hatte.
„Das fehlte auch noch!“ antwortete Astrid lächelnd und zog sich dann bescheiden zurück, um sich wieder an ihren Schreibtisch im Wartezimmer zu setzen.
Sie war nun schon eine ganze Woche bei Mostvedt, und sie fühlte sich in ihrer Stelle äußerst wohl. Sie brauchte bloß das helle, schmucke Sprechzimmer und das hübsche Wartezimmer zu sehen, und sogleich war sie in der besten Stimmung.
„Als ich mich hier niederließ“, sagte Mostvedt eines Tages, „da stand eins für mich fest. Ich wollte es ebenso hell und behaglich und sauber haben wie jeder beliebige Menschendoktor. Ich vergesse nie einen alten Tierarzt, zu dem ich einmal mit meinem Hündchen ging, als ich noch klein war. Sein Sprechzimmer war dunkel und verstaubt und ungemütlich und fürchterlich unordentlich. Und dann er selber in seinem schmutzigen weißen Kittel mit den großen Blutflecken! Nein, danke! Das ist nichts für mich!“
Astrid pflegte eine halbe Stunde vor Mostvedt zu kommen, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Sie liebte diese halbe Stunde, in der sie schalten und walten konnte, wie es ihr gefiel. Sie liebte es, die blanken Nickelbeschläge abzureiben und den großen Untersuchungstisch aus rostfreiem Stahl. Die Instrumente schimmerten im Glasschrank, alles lag an seinem bestimmten Platz. „Ich könnte mich ja hier mit verbundenen Augen zurechtfinden“, sagte Mostvedt einmal.
Im Wartezimmer war der Telefonblock mit Astrids deutlicher, sauberer Schulmädchenschrift bedeckt: lauter Bestellungen für den Tierarzt. Daneben stand die Kartei, deren leere Fächer sich nach und nach mit Karten füllten, die Astrid sorgfältig und genau ausfüllte.
Ja, Astrid fühlte sich bei ihrer Arbeit wohl. Hier kamen ihre besten Eigenschaften zur Geltung: Ordnungsliebe, Zuverlässigkeit, Sauberkeit, und hier fand ihre grenzenlose Tierliebe ein reiches Betätigungsfeld.
Das Telefon läutete.
„Hier bei Tierarzt Mostvedt…“
Astrid lauschte, notierte. Sie sagte nicht viel, aber sie faßte alles richtig auf und richtete genau aus, was ihr aufgetragen wurde.
„Um wie viele Tiere handelt es
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