Gewalt ist eine Loesung
die beim BGS aufgebaut wurden, hatte ich auch als Hooligan verinnerlicht: Autonome, Skinheads, Rocker – einfach jede rivalisierende Horde junger Männer. Das waren die Gegner – bei der Blue Army wie auch beim Bundesgrenzschutz. Und für beide Welten galt: Meinungsverschiedenheiten werden nicht ausdiskutiert!
Da sich meine Einsätze an den Wochenenden häuften, fuhr Frank oft auch ohne mich mit den OWT-Jungs zum Fußball. Das war die Chiffre für alles, was wir taten. Man ging einfach nur zum Fußball. Wenn alte Schulfreunde verstohlen nachfragten, ob man denn nun ein Hooligan sei, hieß es: Ich fahre zum Fußball. Was diese Worte alles beinhalteten, konnte sich kaum ein Außenstehender vorstellen. In unserem Vokabular indes kamen Begriffe wie Gewalt, Krawalle oder Schlägereien gar nicht vor. All dies wurde unter dem Satz »Ich fahre zum Fußball« subsumiert und gleichzeitig ignoriert. Und wer nicht über Krawalle, Verletzungen und Gewalt sprach, musste auch nicht darüber nachdenken. So einfach war das.
Frank zeichnete sich aufgrund seiner körperlichen Überlegenheit und unseres gemeinsamen Box- und Kickboxtrainings in mehreren heftigen Massenschlägereien aus. Während ich Wochenenddienst schieben musste, fuhr Frank mit 30 Jungs des OWT 1990 zum WM-Halbfinale nach Turin – Deutschland gegen England – und hinterließ in der Turiner Innenstadt bei zahlreichen Prügeleien mehrere Faustabdrücke auf den Köpfen englischer Hooligans. Er stieg mit jeder siegreichen Schlägerei auf der Hierarchieleiter der Blue Army Bielefeld weiter empor. Und ich mit ihm, da wir beide in unserer Freizeit unzertrennlich waren.
Dann lernte ich endlich den Onkel kennen. Er wusste über unsere »Einsätze« Bescheid. Bei der Schulbus-Aktion mit den Türken angefangen, über die Fahrt nach Bochum – jede noch so kleine Geschichte, die wir bis dahin hatten, war ihm längst bekannt. Und er wusste auch, dass ich beim Grenzschutz war. Er schlug mir mit seiner mächtigen Hand auf die Schulter und meinte, er freue sich, endlich mal einen Bullen kennenlernen zu dürfen, der ohne Uniform ein ehrlicher Junge von der Straße sei. Und das könne ich schon zwei Wochen später, beim Spiel unserer Arminia in Erkenschwick, beweisen. Dort würde definitiv etwas passieren, teilte er mir mit ruhiger Stimme mit. Ich hatte davon schon gehört und eigens für dieses Wochenende Urlaub beantragt, denn eigentlich war ich für einen BGS-Einsatz eingeteilt. Aber Erkenschwick wollte ich mir nicht entgehen lassen. Und das hatte seine Gründe.
Die Erkenschwicker waren ernst zu nehmende Gegner – in der Liga und abseits des Fußballfeldes – und direkte Nachbarn unseres Erzfeindes Schalke 04, bei dem sie in der Vergangenheit auch schon in der ersten Bundesliga mitgemischt hatten. Gute Gründe, endlich für Recht und Ordnung zu sorgen. Und zwar mit gut 100 Mann. So groß plante der Onkel unsere Reisegruppe ins Ruhrgebiet. 100 Männer, 200 Fäuste und nur ein Ziel: verbrannte Erde im Westen.
Wir trafen uns am frühen Morgen auf einem abgelegenen Parkplatz in der Innenstadt. Unsere gesamte Clique war vertreten: Paul – er wuchs mit uns im gleichen Stadtviertel auf, absolvierte eine Druckerlehre und ging mit Frank und mir zum Boxtraining. Dazu Olaf, ein bulliger Kerl, gelernter Zimmermann und Türsteher in einer Bielefelder Großdiskothek, der sich zu dieser Zeit als Fallschirmjäger bei der Bundeswehr verpflichtet hatte. Und natürlich mein bester Freund Frank. Hoch motiviert erreichten wir den vereinbarten Treffpunkt. Auf dem Parkplatz standen bereits 20 Autos – und tatsächlich: 100 Mann!
Im Konvoi fuhren wir über die A2 ins Ruhrgebiet. Die Pausen an den Raststätten glichen feindlichen Einmärschen in einem Kriegsgebiet. Hundert angetrunkene Männer, die keinerlei Regeln befolgten, betraten wie eine marodierende Armee den Verkaufsraum. Chaos und Lärm verbreitend steckten sie sich alles ein, was irgendwie sinnvoll schien. Bier, Korn, Kaugummis, aber auch Tennissocken und Hustenbonbons. Die Angestellten ergaben sich dieser Invasion. Es gab keine Regeln, keine Rücksicht und keine Gnade. Alles, was auf diesen Fahrten passierte, musste meinem Dasein als Polizist widerstreben. Mein polizeiliches Gespür ließ mich auf solche Aktionen auch verzichten. Aber nicht aus moralischen, sondern aus rein pragmatischen Beweg gründen: Auf einer Überwachungskamera wollte ich mit so einer blöden Geschichte nun wirklich nicht landen.
Wir verließen die Autobahn
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