Gewitter über Emilienlund: Mittsommerglück (German Edition)
blickte sie sich um. Und dann erblickte sie durch eine Lücke im Unterholz die Straße. Annie glaubte ihren Augen nicht trauen zu können. Sie lief los, und als sie die Straße erreichte, hätte sie am liebsten den Asphalt zu ihren Füßen küssen mögen. Das Schicksal hatte also doch ein Einsehen mit ihr! Jetzt musste sie nur noch darauf warten, dass ein Wagen vorbeikam, um sie in die nächste Ortschaft mitzunehmen. Dann würde sie endlich Mr. O’Brannagh anrufen und die ganze Sache erklären können. Vielleicht hatte er ja ein Einsehen, und sie würde die Stelle trotz allem antreten können.
Die Sonne versank am Horizont. Zitternd begann Annie, auf- und abzulaufen, um sich warm zu halten. Es half nicht viel. Verflixt! Hatte sie von allen Straßen ausgerechnet auf der am wenigsten befahrenen ganz Schwedens landen müssen? Was sollte sie nun tun? Natürlich konnte sie versuchen, sich zu Fuß bis zum nächsten Ort durchzuschlagen. Leider wusste sie jedoch weder, in welche Richtung sie sich wenden musste, noch, wie weit die nächste Ansiedlung entfernt war.
Es blieb ihr also kaum etwas anderes übrig, als abzuwarten. Sie musste an Greys Worte denken, dass es einem Wunder gleichkäme, hier auf einen Wagen zu stoßen. Aber vielleicht hatte sie ja zum ersten Mal, seit sie in Schweden angekommen war, das Glück auf ihrer Seite, und das Wunder trat wirklich ein.
Stunden schienen vergangen zu sein, ehe Annie aus weiter Entfernung das Leuchten von Scheinwerfern erblickte. Erleichtert atmete sie auf. Die Rettung war nahe.
Hastig rappelte sie sich auf, lief auf die Mitte der Straße und gestikulierte wild mit den Armen. Sie wusste, dass sie einen schrecklichen Anblick bieten musste. Doch sie hatte Glück. Der Fahrer des entgegenkommenden Wagens musterte sie zwar mit unverhohlener Neugier, doch er hielt immerhin an.
“Kann ich Ihnen irgendwie helfen?”, fragte er auf Schwedisch.
Für einen kurzen Augenblick wanderten Annies Gedanken zu Grey. Sollte sie nicht irgendeinen Weg finden, ihm Bescheid zu geben, dass mit ihr alles in Ordnung war? Sie wollte nicht, dass er sich unnötig Sorgen um sie machte … Doch dann schüttelte sie den Kopf. Ach was, beschloss sie. Er wird es schon verkraften. Außerdem hatte sie jetzt Wichtigeres zu tun: Sie musste sich so schnell wie möglich mit Mr. O’Brannagh in Verbindung setzen. Alles andere konnte warten.
Dankbar nickte sie dem Fahrer zu und stieg in den Wagen.
3. KAPITEL
W ie sich herausstellte, handelte es sich bei dem freundlichen jungen Mann, der Annie aufgelesen hatte, um Lasse Magnusson, den Juniorchef der örtlichen Autowerkstatt. Nachdem er sich den Wagen angesehen hatte, der noch immer im Straßengraben steckte, hatte er Annies Gepäck in den Kofferraum geladen und sie kurzerhand mit zu sich in die Werkstatt genommen.
Während sie sich auf der Damentoilette umzog und behelfsmäßig zurechtmachte, kümmerte Magnusson sich um die Formalitäten mit der Autovermietung in Stockholm und der Versicherung. Als der ganze Papierkram erledigt war, bat Annie den jungen Mann von der Reparaturannahme, ein Telefonat führen zu dürfen. Mit zitternden Fingern wählte sie die Nummer des Büroanschlusses ihres neuen Arbeitgebers. Niemand meldete sich. Nach dem zehnten Klingeln legte sie schließlich auf.
“Gibt es eine Möglichkeit, irgendwo einen anderen Wagen zu bekommen? Eine Autovermietung gibt es hier wohl nicht, oder?”
Magnusson lächelte bedauernd. “Tut mir leid, aber damit können wir hier in Sjönderby leider nicht dienen. Übrigens, Ihr Schwedisch ist wirklich exzellent. Fast ohne Akzent. Woher kommen Sie? Amerika? England?”
Annie lachte. “England. Hört man das so deutlich?”
“Nein, ich habe einfach geraten. Was hat Sie hierher verschlagen? Machen Sie Urlaub in Schweden?”
“Nein, das nicht.” Annie schüttelte den Kopf. “Ich bin aus beruflichen Gründen hier. Deshalb brauche ich auch so dringend einen fahrbaren Untersatz. Ich bin ohnehin schon viel zu spät dran, ich kann meinen neuen Chef unmöglich noch länger warten lassen.”
Überrascht hob Magnusson eine Braue. “Sie arbeiten hier in der Gegend? Wo denn?”
“Ich bin Mr. O’Brannaghs neue Sekretärin”, erklärte sie nicht ohne Stolz. “Kennen Sie ihn?”
“Mr. O’Brannagh, sagen Sie? Nun, vielleicht kann ich Ihnen ja doch irgendwie helfen. Einen Moment, bitte.” Er ging in die Werkstatt und unterhielt sich kurz mit einem Mann im ölverschmierten Arbeitsanzug. Als er zu Annie
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