Gewitterstille - Kriminalroman
nach einem Wasserglas und schenkte sich ein.
»Und Sie gehen davon aus, dass Sophie eine Aussage machen wird – einmal vorausgesetzt, Sie nehmen diese strapaziöse Dienstreise auf sich?« Der spitze Unterton in Georgs Stimme war nicht zu überhören. »Ich dachte immer, dass Zeugen gegenüber einem Polizisten nicht zur Aussage verpflichtet sind, sondern nur vor Gericht.«
»Das stimmt nur bedingt«, berichtigte Bendt und hielt Georgs Blick stand. Er lehnte sich lässig in seinem Gartenstuhl zurück. Sofern er sich über Georgs überhebliche Art ärgerte, ließ er sich das jedenfalls nicht anmerken. »Zwar trifft es zu, dass Zeugen gegenüber einem schlichten Beamten, wie ich es bin, keine Aussage machen müssen, gegenüber der Staatsanwaltschaft aber schon, und die wird ja in Person von Anna zugegen sein.« Er zwinkerte Anna zu.
»Ich bin doch überhaupt nicht im Dienst«, protestierte Anna schroff. »Ich halte es für gänzlich überzogen, in deiner oder Kommissar Brauns Begleitung zu fliegen. Sinnvoller wird sein, ich fahre zunächst nach Frankreich und kläre, ob Sophie eine Aussage machen will oder nicht. Dann können du oder Kommissar Braun gegebenenfalls immer noch nachkommen. Vielleicht will sie ja auch überhaupt nicht dortbleiben und reist gleich mit mir zurück, dann könnt ihr sie auch hier vernehmen.«
»Aber Anna, du willst doch den Herrn Kommissar nicht um eine Reise nach Südfrankreich auf Staatskosten bringen.« Georg maß Bendt mit einem Blick, der an Arroganz kaum zu überbieten war.
Anna sah Georg giftig an. »Kannst du Emily nun für ein paar Tage nehmen oder nicht?«
Georg ließ sich Zeit mit seiner Antwort. »Die kommenden vier Tage wären kein Problem, sofern du Flüge bekommst«, sagte er schließlich und blickte abermals zu dem Kommissar hinüber. »Vielleicht gelingt es Anna ja kurzfristig zu klären, ob sie Sie wirklich in Frankreich braucht oder nicht.«
30. Kapitel
P etra Kessler knipste die Nachttischlampe an undgriff nach der Flasche mit stillem Wasser, die neben ihrem Bett stand. Gierig trank sie in tiefen Zügen daraus, stand dann aus dem Bett auf und streifte ihr schweißnasses Nachthemd ab. Sie öffnete das Fenster im Schlafzimmer, um zu lüften, während sie eine Dusche nahm. Wie immer empfand sie das Plätschern des Wassers als ebenso tröstlich wie die Enge der Duschkabine, in der sie sich geborgener fühlte als irgendwo sonst. Sie schloss die Augen und ließ ihren Kopf kreisen, während das wohltuende Nass ihren Nacken hinunterrann. Es war ein Fluch, dass sie die Migräne schon wieder in sich emporkriechen fühlte, und sie hoffte inständig, dass der Schmerz sie nicht wieder mit solcher Macht heimsuchen würde wie so oft. Sie stellte den Hahn ab und horchte auf, als sie ein blechernes Geräusch vernahm. Sie vermutete es draußen, trocknete sich ab, streifte ein neues leichtes Seidennachthemd über und begann ihr Bett neu zu beziehen. Sie gestattete es sich erst, sich hineinzulegen, nachdem sie es sorgfältig aufgeschüttelt und das gestärkte Kissen zurechtgerückt hatte. Obwohl es draußen lange nicht mehr so heiß war wie in den vorangegangenen Tagen, hatte sich im Obergeschoss so viel Hitze gesammelt, dass es schwer war, Ruhe zu finden. Petra schlang sich das Laken um die Beine und döste leicht ein.
Sie stöhnte auf, als sie zwischen Wachen und Schlafen spürte, dass die Dämonen ihrer Nächte sie wieder nicht in Frieden lassen wollten, und fragte sich, wie es dieser Tage wohl erst in ihrem Berliner Haus gewesen wäre. Das Gesicht ihres verstorbenen Ehemannes ließ sich in diesen heißen Nächten nicht aus ihrem Kopf vertreiben. Wieder und wieder stieg Christophs Bild in ihr auf und blickte sie aus seinen panisch geweiteten Augen Hilfe suchend an. Er hatte zweifelsohne gegen den Tod gekämpft und sich am Ende doch wie jeder Mensch irgendwann seinem ihm zugedachten unausweichlichen Schicksal beugen müssen. Als der Rettungswagen schließlich eintraf, war er bereits tot gewesen. Man hatte ihr die Möglichkeit gelassen, noch eine kleine Weile im Arbeitszimmer mit ihm allein zu sein, bevor er abgeholt und in einem Sarg hinausgetragen worden war. Die Sanitäter hatten ihn auf das kleine Sofa gelegt, und während er dort lag, hatte sie sich neben ihm niedergekniet, seine Hand in der ihren gehalten und ein Kreuz auf seine Stirn gezeichnet, um Abschied zu nehmen. Es war leichter für sie, ohne ihn zurechtzukommen, als sie vermutet hatte. Sie erinnerte sich daran, wie sich
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