Gewitterstille - Kriminalroman
telefoniert und Jens dadurch in Gefahr gebracht hatte, war ein Stück des Vertrauens, das zwischen ihnen bestanden hatte, erschüttert worden. Sie hatte Jens noch nie so aufgebracht gesehen wie an jenem Tag, als er in das Apartment gestürzt war und ihr Handy auf den Boden geschleudert hatte. Für einen winzigen Moment hatte sie die Befürchtung gehabt, er könnte sie schlagen.
»Wenn du mit jemandem reden willst, rede mit mir, verdammt«, hatte er sie angebrüllt, während er ihre Habseligkeiten in den Koffer gestopft hatte. Sie waren sofort aufgebrochen. Denn auch Sophie hatte nicht die geringste Ahnung, wie so eine Ortung funktionierte und ob das eine Telefonat mit Janina ausgereicht hatte, um ihren Standort zu bestimmen. Bei dem Gedanken, sie hätte für seine Ver haftung verantwortlich sein können, krampfte sich ihr Herz zusammen. Jens war zu Recht wütend gewesen. Denn in dem Hotel, aus dem sie ausziehen mussten, hatte sich beim Einchecken niemand näher für ihre Identität interessiert, und jeder Standortwechsel bedeutete Gefahr, zumal sie nicht wussten, ob der deutschen Polizei inzwischen bekannt war, mit wessen Personalien Jens sich auswies. »Wie weit ist es noch?«, fragte Sophie, um endlich das Schweigen, das nun schon so lange dauerte, zu brechen.
»Wir sind bald da, ungefähr zehn Kilometer noch«, antwortete Jens, ohne seinen Blick von der Straße abzuwenden. Die beiden letzten Nächte hatten sie im Auto geschlafen, was an ihren Kräften gezehrt hatte. Sie hatten weder das Geld noch den Mut, wieder irgendwo einzuchecken. Die Gefahr, erkannt zu werden, war inzwischen viel zu groß geworden.
»Ich habe Angst«, gestand Sophie, die sich so lange vor einer Begegnung mit ihrer Mutter gescheut hatte.
»Sie hat es verdient«, sagte Jens und sah Sophie das erste Mal an diesem Tag einen Moment lang an, und noch immer konnte sie Wut und Bitterkeit in seinem Ausdruck lesen. »Weißt du, wie das Haus aussieht, in dem deine Mutter wohnt? Das ist ein Palast. Und du hast geglaubt, sie hätte sich vielleicht nie bei dir gemeldet, weil sie arm und mittellos war. Sie hat ganz sicher nicht gedacht, das Leben bei deinem Vater sei besser für dich. Sie fand es nur bequem, dich loszuwerden.«
»Ich weiß«, sagte Sophie, der es wehtat, dass Jens immer wieder Salz in ihre Wunden streute. Und doch konnte sie es ihm nicht übel nehmen, war ihr doch klar, dass die Wut, die er bezüglich Sophies Mutter äußerte, letztlich seinem eigenen Vater galt, der ihn ebenfalls im Stich gelassen hatte. Sophie war sicher, dass er sie nicht verletzen wollte. In den Zeitungen war das wunderschöne Landhaus, in dem ihre Mutter zwischen Eze und La Turbie lebte, abgebildet gewesen und hatte Sophie der Illusion der letzten beiden Jahre beraubt, in denen sie immer wieder nach möglichen Entschuldigungen für ihr Verschwinden gesucht hatte. Jens hatte recht. Es gab nicht den geringsten Anlass, diese Frau zu schonen.
»Weißt du noch, was du sagen sollst?«
»Ja doch!«
»Gut! Sie darf auf keinen Fall merken, dass wir noch in Kontakt stehen, hörst du?« Jens blickte Sophie abermals forschend an, und die anschwellende Ader auf seiner Stirn zeigte einmal mehr, unter welch großer Anspannung er stand. »Sag ihnen, dass du nichts mehr von mir wissen willst. Denk daran, wie wichtig es ist, dass sie glauben, du hättest nicht die geringste Ahnung, wo ich bin.«
»Ich bin doch nicht blöd! Ich habe das verstanden.« Sophie war zu erschöpft, um sich wieder und wieder wie ein kleines Kind daran erinnern zu lassen, was sie zu tun hatte.
»Mach ihr ein schlechtes Gewissen. Sag ihr, dass sie dir wenigstens helfen kann, indem sie dich unterstützt, und vermittle ihr den Eindruck, dass ich dein Geld durchgebracht hätte.«
»Hast du ja auch.« Sophie fühlte sich für ihre spitze Bemerkung sofort schuldig und war froh, dass Jens diese unkommentiert ließ. »Was, wenn sie später merken, dass ich dich ins Haus gelassen habe?«, fragte Sophie ängstlich. Denn obwohl sie ihre Mutter von ganzem Herzen hasste und überzeugt war, das Richtige zu tun, verspürte sie im tiefsten Inneren doch einen Widerwillen dagegen, Beate zu enttäuschen.
»Sie werden es nicht merken! Sie werden nicht damit rechnen, dass du mir hilfst.«
»Hier muss es sein«, sagte Sophie und zeigte aus dem Fenster, wo rechts von der Straße ein großer Holzpfeil die Zufahrt zum Haus auswies. Jens blieb auf der Straße und fuhr noch etwa hundert Meter, bevor er anhielt. Es wäre
Weitere Kostenlose Bücher