Gewitterstille - Kriminalroman
einen letzten Blick in den Spiegel, bevor sie sich auf der Bettdecke niederließ, das Nachthemd verführerisch hoch über ihre Schenkel schob und den Ausschnitt zurechtrückte. Sie hörte, wie sich endlich der Schlüssel im Hausschloss drehte, ebenso wie seine Schritte auf dem kalten Marmorboden der Diele. Die Schritte verhallten abrupt. Ganz offenbar hatte er die Rosenblätter auf den Stufen der Treppe hi nauf sofort bemerkt. Sie lauschte mit klopfendem Herzen hinunter. Er schien einen Moment zu zögern.
»Ich bin da, Petra!«, rief er dann, und seine Stimme klang erschöpft.
Sie hörte ihn umständlich mit den Garderobenbügeln herumhantieren, während er erneut nach ihr rief. Sie hatte nicht vor zu antworten. Erst jetzt schenkte sie sich ein Glas des prickelnden kalten Champagners ein, den sie im Eiskühler auf ihrem Nachttisch bereitgestellt hatte. Sie fluchte leise, als sie Christoph durch den Flur ins Wohnzimmer gehen hörte, und befürchtete schon, dass er nicht heraufkommen würde. Sie lauschte angespannt und vernahm das Klirren der Eiswürfel in seinem Whiskyglas, bevor er sich endlich mit schwerfälligen Schritten der Treppe näherte und die knarrenden Stufen sein Kommen ankündigten. Erst jetzt griff sie nach dem Röllchen mit den Schlaftabletten, spülte sie hi-nunter und schloss ihre Augen.
31. Kapitel
S ophie erwachte sehr früh an diesem Morgen und blickte von ihrem Bett durch das Fenster in den traumhaften Garten hinaus. Die Wildrosenbüsche wuchsen prächtig, und ihre Blüten waren so schön, dass sie fast unwirklich schienen. Beate hatte für Sophie ein Zimmer im Erdgeschoss eingerichtet, damit sie sich im unteren Teil des Hauses mit ihrem Rollstuhl frei bewegen konnte. Sophie hätte sich in dem Haus, das mit so viel Liebe und Geschmack eingerichtet war, uneingeschränkt wohlgefühlt, wenn sie nicht diese tiefe Bitterkeit empfunden hätte. Das honigfarbene Sonnenlicht fiel auf die kleine handverzierte Schminkkommode, auf der Beate für Sophie einen kurzen runden Strauß rosafarbener Rosen in einer Milchkanne aus weißem Porzellan dekoriert hatte. Sophie hatte am vorangegangenen Abend noch lange hier gesessen und sich im Spiegel betrachtet, bevor sie zu Bett gegangen war. Nur wenige Stunden zuvor hatte sie ihrer Mutter nach all den Jahren zum ersten Mal wieder gegenübergestanden und sich gefühlt, als blicke sie in ihr eigenes leicht gealtertes Spiegelbild. Die Ähnlichkeit war so verblüffend, dass sie sie fast als schmerzlich empfand. Sophie fragte sich, ob ihre nur wenige Jahre jüngeren Halbschwestern ihr ebenfalls ähnlich sahen. Noch hatte sie die Fotos, die überall im Wohnzimmer herumstanden, nicht genauer betrachtet. Einen persönlichen Eindruck würde sie sich so schnell nicht verschaffen können, denn die beiden Mädchen hatten Ferien und waren für zwei Wochen zu den Großeltern in die Provence gefahren. Sophie vermutete, dass Beate recht froh darüber war, sich allein auf sie konzentrieren zu können. Sie hatte ihre Mutter mit ihrem Auftauchen ziemlich überrumpelt, nachdem sie zwar ihren Besuch angekündigt, sie aber über den Tag und die Zeit ihrer Ankunft im Unklaren gelassen hatte. Sophie drehte sich in ihrem Bett noch einmal auf die Seite und schloss die Augen. Sie war voller widerstreitender Gefühle. Zwar war sie froh, den Schritt hierher gewagt zu haben, denn Beate schien ihr keineswegs die gewissenlose Frau zu sein, als die Jens sie beschrieben hatte. Und dennoch war sie wütend, weil man sie im Stich gelassen hatte.
»Ich habe dich nie vergessen«, hatte Beate am Vorabend unter Tränen beteuert, und Sophie hatte gespürt, dass ihr Schmerz aufrichtig war. Dennoch verstand sie nicht, dass Beate sich gemeinsam mit ihrem Vater entschieden hatte, sich selbst totzusagen.
»Wir dachten damals, es sei das Beste für dich«, hatte Beate hilflos versucht zu erklären. Und genauso, wie Sophie gespürt hatte, dass Beate ihren Schmerz nicht vortäuschte, war ihr klar, dass Beate sie belog. Sophie versuchte, ihre Gefühle beiseitezuschieben, rückte ihren Rollstuhl zurecht und schaffte es aus eigener Kraft, sich vom Bett aus hinein zusetzen. Auch das Badezimmer hier unten lieferte für Sophie genügend Platz, um selbstständig auf die Toilette gehen zu können, sodass sie allenfalls in der Dusche Hilfe benötigen würde, was sie sich für den heutigen Tag allerdings ersparen wollte. Als Sophie fertig angezogen in die großzügige Bauernküche kam, duftete es bereits nach frischem
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