Gewitterstille - Kriminalroman
stehen.
»Ja und?« Sophie deutete auf den Radiowecker auf dem Nachtschrank. »Findest du nicht, du solltest mich um diese Zeit mal ein bisschen in Ruhe lassen?«
Anna öffnete die Tür jetzt ganz und trat ein. Sie hielt das Buch in der Hand.
»Ich bringe dir deine Lektüre.« Anna war sicher, dass Sophie die Ironie in ihrer Stimme nicht entging, denn sie zuckte sichtbar zusammen, als Anna ihr das Buch entgegenstreckte. »Du hast es offenbar am Nachmittag auf der Terrasse liegen lassen.«
»Danke.« Sophies Stimme klang brüchig. Sie griff nach dem Buch. In ihrem Gesicht waren Angst und Verzweiflung zu lesen. Aber Anna erkannte auch noch etwas anderes – Erleichterung. Anna hatte in diesem Moment nicht mehr den geringsten Zweifel, dass Asmus sich im Raum befand. Sie konnte ihn beinahe physisch spüren.
Womöglich war mit dem Ende von Asmus’ Flucht eine große Last von Sophies Schultern genommen, so schmerzlich diese Erfahrung für sie auch sein mochte.
Anna trat nah an das Bett und sah Sophie an, aus deren Augen Tränen hervorquollen. Sophie begann laut zu schluchzen und schlug die Hände vor das Gesicht.
»Er hat niemandem etwas getan«, presste sie hervor. »Er ist kein Mörder.«
Anna fluchte innerlich. Zu gern hätte sie den Raum wieder verlassen und Sophie eine Gute Nacht gewünscht, um Asmus in Sicherheit zu wiegen. Nun war es zu spät, um in aller Ruhe die französischen Behörden alarmieren zu können.
Bendt, der neben der Tür gewartet hatte, war binnen des Bruchteils einer Sekunde neben ihr und schob Anna aus dem Raum. Er hielt eins von Andrés Gewehren in der Hand.
»Wo ist er?«, fragte er ruhig und sah Sophie durchdringend an. »Asmus, kommen Sie raus.«
Es blieb totenstill.
»Sag ihm, wo er ist!«, forderte Anna von der Tür aus.
Sophies Unterlippe bebte.
»Anna, bleib draußen, verdammt«, befahl Bendt. »Kommen Sie endlich raus, Asmus, und machen Sie keinen Ärger. Es ist vorbei. Das Haus ist umstellt.«
Es vergingen noch einige Sekunden der Stille, bis Asmus plötzlich unter dem Bett hervorkroch.
»Ich komme raus. Bitte nicht schießen – ich bin nicht bewaffnet.«
Bendt richtete den Lauf der Flinte auf den jungen Mann, der sich umständlich vor ihm aufrichtete und seine Hände hob. Anna war geschockt, als sie erkannte, wie mager er geworden war. Er schien seit ihrem letzten Zusammentreffen um Jahre gealtert zu sein.
»Hände oben lassen und Beine auseinander.« Bendt packte Asmus am Arm und drängte ihn unsanft gegen die Wand. Dort begann er, ihn abzutasten.
Anna lief zu Sophie hinüber und schloss sie in ihre Arme. Sophies verzweifeltes Weinen schnitt ihr ins Herz. Gleichzeitig war sie unendlich erleichtert.
»Anna, ruf die Gendarmarie an, und Sie, Asmus, verlassen jetzt ganz langsam und sachte diesen Raum, verstanden? Und keine Dummheiten.«
Bendt schob Asmus Richtung Tür.
Anna hatte Mühe, sich von Sophie, die sie fest umklammert hielt, zu lösen.
»Er hat sie nicht umgebracht, das hat er nicht«, schluchzte Sophie immer wieder.
»Glaub mir, Sophie, es ist besser so. Er wird einen fairen Prozess bekommen.«
Zärtlich strich sie Sophie die Haare aus der Stirn und griff dann nach ihrem Mobiltelefon. Die Nummer der zuständigen Gendarmerie hatte Bendt bereits unmittelbar nach ihrer Ankunft in Frankreich für Anna gespeichert. Sie hatte gerade die ersten Worte in das Telefon gesprochen, als ein ohrenbetäubender Knall durch das Haus hallte, der Anna zusammenzucken ließ.
Sophie schrie laut auf.
Für einen kurzen Moment war Anna nicht in der Lage, sich auch nur einen Millimeter vom Fleck zu bewegen.
»Was war das?«, flüsterte Sophie, und in ihrer Stimme lag die blanke Panik.
»Ein Schuss«, antwortete Anna und stürmte aus Sophies Zimmer.
Der Flur wirkte plötzlich auf sonderbare Weise gespenstisch. Anna wollte nicht glauben, was sie sah. Ihre Beine fühlten sich plötzlich taub an.
»Bendt. – Wir brauchen hier sofort einen Krankenwagen«, brüllte sie verzweifelt. André, der schon zur Stelle war, nahm ihr das Telefon ab, das sie immer noch in der Hand hielt.
»Die Gendarmerie. Sagen Sie ihnen, was hier los ist, bitte«, brachte Anna hervor.
Wie aus weiter Ferne drang Andrés Stimme an ihr Ohr, als er der Polizei in schnellem Französisch die wichtigsten Informationen durchgab und einen Rettungswagen anforderte. Anna ließ sich neben Bendt auf die Knie fallen. Sein Hemd war voller Blut und sein Gesicht schmerzverzerrt. Er hielt seine Hände auf die Brust
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