Gewitterstille - Kriminalroman
furchtbar schwerfällt, hier zu sein und überall seinen Bruder zu sehen. – Der Ordner müsste im Büro sein. Ich hole ihn eben. Sie können inzwischen gern in der Küche warten und etwas trinken, wenn Sie wollen. Den Flügel müssen Sie ja wohl ohnehin nicht begutachten.«
»Nein«, sagte Anna und schritt neben der Haushälterin über den blanken Boden zurück in die Diele, von der die Küche abging.
»Ich kann Ihnen gleich einen Kaffee machen, wenn Sie jetzt schon einmal da sind.«
Anna nahm dankend an und folgte in die Küche, die mit ihren weiß lackierten Fronten und den Edelstahleinbauten ebenso steril aussah wie der Rest des Hauses.
»Die Küche passt zu Frau Kessler«, stellte Anna fest.
»Alles hier passt zu ihr«, bestätigte die Haushälterin. »Aber jetzt entschuldigen Sie mich bitte einen Moment.«
Anna betrachtete die peinliche Ordnung, in der die Küchengeräte auf der Arbeitsfläche aufgereiht standen, während die Haushälterin den gewünschten Ordner holen ging.
»Da ist er schon«, sagte sie, als sie kurz darauf wieder in die Küche kam. Susanne Hölter legte den sorgfältig beschrifteten Ordner auf dem Küchentresen ab, vor dem drei verchromte und mit weißem Leder bezogene Stühle standen, und begann sofort darin zu blättern. Schnell fand sie das gesuchte Dokument.
»Auf die Ordnung der beiden war immer schon Verlass«, sagte sie und nahm das Schriftstück heraus. »Ich bringe das eben Herrn Kessler. Ich bin jeden Moment zurück und mache Ihnen Ihren Kaffee.«
Anna setzte sich an den Tresen. Der Raum wirkte so unpersönlich wie ein Ausstellungsraum in einem Nobelkü chencenter. Künstlich, wie die Besitzerin des Hauses selbst, dacht sie. Es dauerte nicht lange, bis die Haushälterin abermals zurückkehrte. Anna kam umgehend auf den Grund ihres Besuches zurück.
»Haben Sie denn herausgefunden, warum Christoph Kessler wahrscheinlich ausziehen wollte?«
Die Haushälterin zuckte mit den Schultern. »Vor ein paar Jahren hatte er einmal eine Affäre. Frau Kessler hat damals einen Selbstmordversuch unternommen und ihn so wieder an sich gebunden. Ich weiß es natürlich nicht, aber vielleicht gab es in seinem Leben wieder jemanden.«
»Halten Sie es für möglich, dass Petra Kessler ihren Mann umgebracht hat?«
»Ich … Es gibt keine Beweise dafür.«
»Aber welchen Grund sollte es denn überhaupt für Petra Kessler gegeben haben, ihren Mann und ihre Mutter umzubringen?«
Susanne Hölter zuckte mit den Schultern.
»Angenommen, sie hätte ihre Mutter tatsächlich umgebracht«, spekulierte Anna, »dann müsste sie in der Nacht vor deren Tod nach Lübeck und wieder zurück gefahren sein, richtig?«
»Ja.«
Anna richtete ihren Blick auf den Ordner mit den Fahrzeugunterlagen. Einer der Reiter war mit »Tankquittungen« beschriftet.
»Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich mal reinschaue?«, fragte Anna und begann gleichzeitig in dem Ordner zu blättern.
»Schade!«, seufzte sie kurz darauf und schlug den Ordner enttäuscht wieder zu. »Es war wohl auch etwas naiv zu hoffen, dass Petra Kessler einfach einen Tankbeleg abgeheftet hat, der in der Mordnacht eine Fahrt von Berlin nach Lübeck dokumentiert.«
Anna trank einen Schluck von dem dampfenden Kaffee, den die Haushälterin vor sie hingestellt hatte, und sah die Frau einen Moment lang nachdenklich an.
»Das heißt …! Wissen Sie, wo Frau Kessler ihre Kontoauszüge und Kreditkartenabrechnungen aufbewahrt und abheftet?«
Susanne Hölter war anzusehen, dass sie Anna nicht folgen konnte.
»Es ist nur eine Idee«, sagte Anna, »aber Kreditkartenabrechnungen und Kontoauszüge dokumentieren derartige Abbuchungen ziemlich deutlich.«
Die Haushälterin zögerte keine Sekunde. »Ich weiß, in welchem Schrank sie solche Unterlagen aufbewahrt.«
»Und haben Sie Zugang zu dem Schrank?«
»Na ja, sagen wir so, er ist normalerweise verschlossen.«
»Was heißt normalerweise? Sie wissen nicht zufällig, wo der Schlüssel ist, oder?«
»Was soll ich sagen«, Frau Hölter lächelte verlegen, »ich mache meine Arbeit gründlich. Könnte sein, dass ich eine leise Idee habe, wo er zu finden sein könnte.«
»Würden Sie …?«
»Ich würde«, sagte die Haushälterin entschlossen und verließ mit entschlossenen Schritten die Küche.
43. Kapitel
S ophie war aufgeregt. Anna hatte angerufen. Sie war auf dem Rückweg von Berlin nach Lübeck. Ihre Stimme hatte so hoffnungsvoll geklungen, dass Sophies Herz gleich einen Sprung machte. Anna hatte
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