Gewitterstille - Kriminalroman
Kaufinteressenten inzwischen das Wohnzimmer begutachteten und Emily so immerhin beschäftigt war und nicht zwischen den Beinen der Leute hindurchwuselte.
»Stellen Sie sich diesen Raum einmal vor, wenn die alten Vorhänge heruntergerissen sind und das Parkett von den staubigen bunten Persern befreit ist«, schwärmte der Makler, und Sophie hoffte, dass Frau Möbius ihn im Jenseits nicht hören konnte.
Sie musterte die drei jungen Paare, die sich für das Haus interessierten. Eine der jungen Frauen war schwanger und schien ganz verzückt von Emily zu sein, die weiterhin leidenschaftlich an dem Paket riss und dabei vor sich hin brabbelte. Offenbar erkannte die werdende Mutter in Emily bereits eine potenzielle Spielkameradin für ihren Nach wuchs und lachte herzlich über das Schlachtfeld, das Emily auf dem Fußboden anrichtete. Während die Kleine mit glühenden Wangen weitere Fetzen aus dem Paket riss, sammelte die Frau die Schnipsel auf und amüsierte sich sichtlich über Sophies vergebliche Bemühungen, Emily Einhalt zu gebieten. Als die Unordnung allzu groß wurde, nahm Sophie das Bündel schließlich auf den Schoß. Sie stutzte, als sie erkannte, dass es sich offenbar nur bei der äußeren Hülle um Zeitungspapier handelte. Im Inneren des Stapels befanden sich Briefe und andere Papiere. Behutsam zog Sophie einen braunen Umschlag heraus. Er war an Frau Möbius adressiert und trug den Namen einer psychiatrischen Klinik im Absender.
Was hatte Anna doch gleich im Gespräch mit einer Nachbarin erfahren? Frau Kessler war als Kind psychisch krank gewesen. Mit klopfendem Herzen wartete Sophie, bis sich die Besuchergruppe in das Obergeschoss begeben hatte. Dann zog sie den gefalteten Inhalt des Umschlags heraus, strich ihn auf ihrem Schoß glatt und begann zu lesen:
Ergebnis der psychiatrischen Begutachtung von Petra Kessler 06. 10. 1988 … Zur Eigen- und Fremdgefährdung der Probandin.
44. Kapitel
P etra Kessler steuerte ihren Wagen zurück über dieA1 in Richtung Lübeck, stöpselte ihre Freisprechanlage ein und wählte die Nummer des Maklers. Sie hatte nicht vor, diesem schmierigen Jungspund mit irgendwelchen Interessenten vor dem Haus in die Arme zu laufen, und wollte sichergehen, dass die Besichtigung inzwischen beendet war. Der Makler nahm das Gespräch bereits nach dem zweiten Klingeln entgegen. Er schien bester Laune zu sein, was Petra übel aufstieß. Im Geiste wälzte er wahrscheinlich schon Porschekataloge, um das leicht verdiente Geld wieder unter die Leute zu bringen, das er bei einem schnellen Verkauf sicher erwartete.
»Werte Frau Kessler, wunderbar, dass Sie gerade jetzt anrufen. Das nenne ich Gedankenübertragung. Ich wollte mich just bei Ihnen melden und Ihnen von der soeben durchgeführten Besichtigung berichten.«
»Na, dann berichten Sie mal«, sagte Petra Kessler betont gelassen und drehte ihr Radio noch ein wenig leiser. Sie hoffte, in Lübeck zu sein, bevor das große Gewitter losbrach, das bereits in den Nachrichten für den Abend angekündigt worden war.
»Das Haus wird ohne Zweifel gut zu verkaufen sein. Ich konnte bereits heute bei zwei der Besucher ernsthaftes Interesse wecken.« Petra verkniff es sich, darauf hinzuweisen, dass wohl eher das Haus als seine Arbeit Anlass für das geweckte Interesse sein dürfte. »Der einzige kleine Haken wird der Preis sein.« Er lachte auf.
»Der Preis ist immer der Haken«, erwiderte Petra Kessler. »Ich bin nicht bereit, wesentlich von meinen Vorstellungen abzuweichen.«
»Natürlich nicht, natürlich nicht«, sagte er in devotem Tonfall. »Ich kann Ihnen sicher in der kommenden Woche schon mehr sagen. Ich bin überzeugt, dass sich bereits in nerhalb weniger Tage herauskristallisieren wird, ob bereits die erste Besichtigung heute zum Erfolg führen wird.«
»Gut.« Petra Kessler verließ die Autobahn. »Haben Sie den Schlüssel wie vereinbart auf der Terrasse unter der Blumenschale mit der Kamelie deponiert?«
»Nein, Ihre Nachbarin war so nett, sich anzubieten und den Schlüssel für Sie aufzubewahren, bis Sie zurück sind beziehungsweise bis noch ein Herr eintrifft, warten Sie … Ich komme nicht auf den Namen, verdammt, ein Georg irgendwas.«
»Bitte?«
»Sie wissen schon, die junge Frau, die an der Besichtigung teilgenommen hat.«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Sie sprechen. Was fällt Ihnen ein, irgendjemandem meinen Schlüssel in die Hand zu drücken.« Petra hatte Mühe, ihre Wut im Zaum zu halten, und konnte die
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