Gewitterstille
Porzellan, befasst waren. Bereits im Inland gab es unzählige Antiquitätengeschäfte und Auktionshäuser, bei denen Frau Möbius’ Porzellandose theoretisch gelandet sein konnte. Vorausgesetzt, es gab einen Dieb und die Dose war überhaupt veräußert worden.
Anna hatte bereits mit dem zuständigen Kollegen bei der Kripo gesprochen, nachdem Petra Kessler tatsächlich Anzeige gegen unbekannt erstattet und ihr dies am Telefon kurz mitgeteilt hatte.
Obwohl es wenig Hoffnung gab, das Diebesgut über das Internet aufzuspüren, suchte sie nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen. Die Suche nach der Münzsammlung hatte die geringste Aussicht auf Erfolg. Die Sammlung war zwar sehr wertvoll, enthielt jedoch keine besonders seltenen Sammlerstücke. Vielmehr hatte Frau Möbius nach Aussage ihrer Tochter überwiegend Krügerrand-Goldmünzen aus Südafrika sowie Deutsche-Mark-Münzen aus dem zwanzigsten Jahrhundert besessen, die keine Seriennummern trugen und somit auch nicht identifizierbar waren. Dagegen handelte es sich bei der Dose um ein sehr wertvolles Unikat. Insoweit bestand immerhin eine – wenn auch geringe – Chance, sie wiederzufinden, zumal auch die dazugehörige Expertise verschwunden war. Deshalb sprach zumindest einiges dafür, dass der Dieb versuchen würde, die Dose samt Expertise auf den Markt zu bringen.
Der Dieb …, dachte Anna und zweifelte inzwischen fast selbst daran, dass es ihn überhaupt gab. Denn mit letzter Gewissheit ließ sich nicht einmal ausschließen, dass Frau Möbius die Dose und die Sammlung vor ihrem Tod verschenkt oder gar verkauft hatte, wenngleich Anna das für unwahrscheinlich hielt. Letztlich musste sie sich jedoch eingestehen, dass sie nicht viel über Frau Möbius wusste und ihr Verhältnis nie über ein gutnachbarliches Mitei-nander hinausgegangen war. Weshalb also wollte sie sich überhaupt anmaßen zu behaupten, die Dose könne nur durch Diebstahl abhandengekommen sein? Petra Kessler war auch keine zuverlässige Quelle. Denn selbst wenn sie felsenfest davon überzeugt war, dass ihre Mutter die Dose um keinen Preis der Welt hätte hergeben mögen, war doch nicht zu leugnen, dass sie in den vergangenen Jahren kaum Kontakt zu ihrer Mutter gehabt hatte. Wie also sollte sie mit Gewissheit sagen können, was und vor allem an wen Frau Möbius Dinge, die ihr lieb und teuer waren, möglicherweise weitergegeben hatte?
Anna schrak zusammen, als sie draußen einen Hund anschlagen hörte. Mit Wehmut dachte sie an ihren eigenen Vierbeiner zurück, der ihr früher unter ihrem Schreibtisch die Füße gewärmt hatte. Er war kurz nach Emilys Geburt an Krebs gestorben, obwohl er mit seinen sieben Jahren eigentlich noch gar nicht alt gewesen war.
Anna schüttelte den Gedanken an ihren Hund ab, stand auf und trat zur offenen Terrassentür hinüber, um zu sehen, was das Tier draußen so in Rage versetzt haben könnte. Im hinteren Garten, der durch die Außenbeleuchtung in ein friedvolles Licht getaucht war, war nichts zu sehen. Verblüfft stellte Anna fest, dass auf dem Dachboden von Frau Möbius’ Haus mitten in der Nacht Licht brannte, und sie fragte sich, ob deren Tochter tatsächlich dort oben herumkroch. Es hatte sie gewundert, als Petra Kessler anders als vorgesehen nicht wieder abgereist war, sondern sich offenbar entschlossen hatte, von ihrem Hotelzimmer in das Haus der Mutter umzusiedeln. Anna wusste nicht, wie lange sie dort bleiben wollte. Nachdem sie zunächst vermutet hatte, die Kessler würde den Nachlass ihrer Mut ter einer Entrümpelungsfirma übergeben, schien sie nun doch – vielleicht auch wegen des Diebstahls – ihre Meinung geändert zu haben. Kein Tag verging, an dem Petra Kessler nicht auf der Terrasse saß und den Inhalt irgendeines Kartons ordnete. Es gelang Anna einfach nicht, aus der Frau schlau zu werden. Allerdings hatte sie letztlich auch kein Interesse an dieser Person, sondern lediglich daran, sich selbst von dem unterschwellig geäußerten Verdacht reinzuwaschen. Anna streckte die Glieder und sog den feuchtwarmen Sommerduft ein, bevor sie die Tür wieder schloss und sich entschied, ins Bett zu gehen. Sie ließ ihre Außenrollläden runter, knipste die kleine Schreibtischlampe aus und fuhr ihren Laptop herunter.
Als sie sich zum Flur wandte und Sophies Silhouette plötzlich im Türrahmen wahrnahm, schrak sie erneut zusammen. Sie war derart in ihre Gedanken versunken gewesen, dass sie Sophie, deren Gesicht im spärlichen Flurlicht beinahe gespenstisch
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