Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gezeiten der Liebe

Gezeiten der Liebe

Titel: Gezeiten der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Roberts
Vom Netzwerk:
was passiert.«
    »Nein, du gehst nie mehr zurück«, bestätigte Ethan. Egal was passierte.
    »Mir ist völlig schnurz, was du oder sonst wer über mich denken. Und du wirst mich nicht dazu bringen, Einzelheiten zu erzählen, indem du so tust, als wüßtest du Bescheid.«
    »Du brauchst nichts zu erzählen«, sagte Ethan. »Und ich wiederum brauche nicht so zu tun als ob.« Er hob die Mütze auf, die Seth’ Schwinger von seinem Kopf befördert hatte, und ließ sie geistesabwesend durch seine Finger gleiten, bevor er sie wieder aufsetzte. Aber die beiläufige Geste half ihm nicht, sich zu entspannen. In seinem Magen hatte sich ein harter, kalter Knoten gebildet.
    »Meine Mutter war eine Hure – meine leibliche Mutter.
Ein Junkie mit einer Vorliebe für Heroin.« Er schaute Seth fest in die Augen und sprach mit nüchterner, sachlicher Stimme. »Ich war jünger als du, als sie mich das erste Mal verschacherte, an einen Mann, der es auf kleine Jungs abgesehen hatte.«
    Seth’ Atem ging schneller, als er einen Schritt zurücktrat. Nein , war sein einziger Gedanke. Ethan Quinn war doch so stark und verläßlich und ... normal. »Du lügst.«
    »Meistens lügen die Menschen, um sich ins rechte Licht zu setzen oder um sich aus einer unangenehmen Situation herauszuwinden, in die sie sich aus Dummheit selbst gebracht haben. Mir erscheint beides sinnlos – und um so sinnloser wäre es, etwas so Schlimmes zu erfinden.«
    Ethan nahm die Mütze wieder ab. Plötzlich schien sie ihm viel zu eng. Einmal, zweimal fuhr er sich mit der Hand durchs Haar, wie um den Druck loszuwerden. »Sie verkaufte mich an Männer, um ihre Sucht zu finanzieren. Das erste Mal wehrte ich mich. Es hörte dadurch zwar nicht auf, aber ich wehrte mich aus Leibeskräften. Beim zweiten Mal wehrte ich mich auch, und noch ein paarmal danach. Aber dann hörte ich auf, mich zu wehren, weil es so nur noch schlimmer wurde.«
    Ethan schaute den Jungen unverwandt an. Im grellen Deckenlicht wirkten Seth’ Augen dunkler als sonst. Er war unsicher geworden, und ihm tat die Brust weh, bis er merkte, daß er vergessen hatte, zu atmen. »Wie hast du es durchgestanden?«
    »Ich hörte auf, es wahrzunehmen.« Ethan hob die Schultern. »Ich hörte auf zu existieren, wenn du verstehst, was ich meine. Es gab niemanden, an den ich mich um Hilfe wenden konnte – oder zumindest wußte ich nicht, an wen ich mich wenden sollte. Sie zog viel herum, um die Sozialarbeiter loszuwerden.«
    Seth’ Lippen fühlten sich trocken und riesig an. Erregt fuhr er sich mit dem Handrücken über den Mund.
»Man wußte nie, wo man am nächsten Morgen aufwachen würde ...«
    »Ja, das wußte man nie.« Aber überall sah es genau gleich aus. Überall roch es genauso.
    »Aber du bist entkommen. Du bist davongekommen.«
    »Ja, ich bin davongekommen. Eines Nachts, als ihr Freier mit uns beiden fertig war, gab es ... Ärger.« Schreie, Blut, Beschimpfungen. Schmerzen. »Ich erinnere mich nicht mehr genau an alles, aber jedenfalls kamen dann die Cops. Ich muß in ziemlich üblem Zustand gewesen sein, denn sie brachten mich ins Krankenhaus und fanden schnell heraus, was los war. Das Jugendamt kümmerte sich um mich, und vielleicht wäre ich in ein Heim gekommen. Aber die Ärztin, die mich behandelte, war Stella Quinn.«
    »Sie haben dich zu sich geholt?«
    »Ja, sie haben mich zu sich geholt.« Und das zu sagen, allein das zu sagen linderte die Übelkeit, die in Ethan aufgestiegen war. »Sie haben mein Leben nicht nur verändert, sie haben mir das Leben gerettet. Danach hatte ich noch lange Zeit die Träume, diese schrecklichen Träume, aus denen man fast blind vor Angst erwacht. Man kriegt kaum Luft und ist überzeugt, daß der Traum Wirklichkeit war. Und selbst wenn einem dann bewußt wird, daß es vorbei ist, fühlt man sich eine Zeitlang wie tot.«
    Seth wischte sich mit den Fingerknöcheln die Tränen ab, schämte sich ihretwegen jedoch nicht mehr. »Ich konnte immer entkommen. Manchmal haben sie mich angefaßt, aber ich bin entkommen. Keiner von ihnen hat jemals ...«
    »Das ist gut.«
    »Ich wollte die Kerle trotzdem umbringen, und sie auch. Ich wollte es.«
    »Ich weiß.«
    »Ich wollte es nie jemandem erzählen. Ich glaube, Ray wußte es, und Cam ahnt es. Ich wollte nicht, daß jemand
denkt, ich ... mich ansieht und denkt ...« Er konnte es nicht in Worte fassen – die Scham, daß ihn jemand ansah und wußte, was geschehen war und was in jenen dunklen, übelriechenden Zimmern noch

Weitere Kostenlose Bücher