Gezeiten der Liebe
dauert seine Zeit, genug dafür zu sparen.«
»Grace will das Haus spätestens dann haben, wenn Aubrey in die Schule kommt. Danach, sagt sie, muß sie anfangen, fürs College zu sparen.« Seth lachte und entschied, daß er noch ein drittes Stück Pizza hinunterkriegen konnte. »Mensch, dabei ist Aubrey noch ein Baby, es dauert noch mindestens tausend Jahre, bis sie aufs College geht. Das hab’ ich ihr auch gesagt«, fügte er hinzu, weil er anderen nur zu gern zeigte, wie gut er sich mit Grace verstand. »Sie hat bloß gelacht. Dann sagte sie, vor fünf Minuten hätte Aubrey ihren ersten Zahn bekommen. Ich hab’s nicht kapiert.«
»Damit meinte sie, daß Kinder im Handumdrehen groß werden, schneller, als man vielleicht glaubt.« Da es nicht so aussah, als ob sein Appetit zurückkehren würde, stülpte Ethan den Deckel über die Pizza und holte Geld heraus,
um zu zahlen. »Den Rest nehmen wir mit in die Werkstatt. Da du morgen ja keine Schule hast, können wir noch ein, zwei Stunden arbeiten.«
Er schob noch mehr als zwei Stunden Arbeit nach. Nachdem er einmal angefangen hatte, schien er nicht mehr aufhören zu können. Zu arbeiten machte seinen Kopf frei, hielt ihn davon ab, die Gedanken schweifen zu lassen, zu grübeln und sich zu sorgen.
Das Boot zu bauen, war eine reelle Aufgabe mit vorhersehbarem Ausgang. ER wußte genau, was er tat, so wie er wußte, was er draußen in der Bucht tat. Es gab nicht so viele verwirrende Vielleichts und Wenns.
Ethan arbeitete sogar dann noch weiter, als Seth sich auf einer Plane zusammenrollte und einschlief. Die Geräusche der Elektrowerkzeuge schienen ihn nicht zu stören – obwohl Ethan sich fragte, wie man mit dem Löwenanteil einer Riesenpizza mit Knoblauchwurst und Peperoni im Bauch schlafen konnte.
Er begann mit den Vorarbeiten zu Kajüte und Cockpit, während der Nachtwind träge durch die offenen Türen hereinwehte. Das Radio hatte er abgedreht, so daß nur die sanfte Musik der leise ans Ufer schwappenden Wellen zu hören war.
Obgleich er die komplette Konstruktion im Geist genau vor sich sah, ging er sehr langsam und vorsichtig zu Werke. Cam würde den Hauptteil des Innenraums gestalten. Er war der geschickteste von ihnen, deshalb blieb es ihm überlassen, jeweils letzte Hand anzulegen, wenn eine bestimmte Arbeit sich dem Ende näherte. Phillip war der Mann fürs Grobe; er hatte mehr Talent für derlei Tätigkeiten, als er zugeben mochte.
Wenn sie das Tempo hielten, schätzte Ethan, konnten sie das Boot in etwa zwei Monaten zu Wasser lassen. Die Aufgabe, Profit und Prozente zu errechnen, überließ er nur zu
gern Phillip. Mit dem Geld würden sie die Rechtsanwälte bezahlen, Investitionen in die Bootswerkstatt finanzieren und ihre Lebenshaltungskosten bestreiten.
Warum hatte Grace ihm nie erzählt, daß sie ein Haus kaufen wollte?
Ethan runzelte die Stirn, als er einen feuerverzinkten Bolzen auswählte. War es nicht ein zu wichtiger Schritt, um ihn nur mit einem zehnjährigen Jungen zu diskutieren? Andererseits hatte Seth sie direkt danach gefragt. Er selbst hatte ihr nur zugeredet, nicht mehr so schwer zu arbeiten – es war ihm nicht eingefallen, sich danach zu erkundigen, warum sie sich so abplagte.
Sie sollte sich endlich mit ihrem Vater aussprechen, dachte er wieder. Wenn die beiden nur mal fünf Minuten lang diesen verbissenen Monroe-Stolz vergessen könnten, stand einer Aussöhnung nichts mehr im Weg. Gut, sie war schwanger geworden – und für Ethan bestand nicht der geringste Zweifel daran, daß Jack Casey ein naives junges Mädchen schamlos ausgenutzt hatte und dafür bestraft werden sollte –, aber das war doch längst Schnee von gestern.
Seine Familie war nie nachtragend gewesen, ob in kleinen oder großen Dingen. Gewiß, sie hatten manchmal gestritten – und seine Brüder und er waren sogar aufeinander losgegangen. Aber damit war die Sache dann auch abgetan.
Klar, er hatte sich geärgert, als Cam kurz nach dem Tod ihrer Mutter nach Europa abgerauscht war und Phillip sich nach Baltimore verzogen hatte. Mit einem Schlag hatte sich alles verändert, und das mußte er erst einmal verdauen.
Doch trotz allem hätte er den beiden nie die kalte Schulter gezeigt, wären sie zu ihm gekommen, weil sie Hilfe brauchten. Und er wußte, daß auch sie ihn nie im Stich lassen würden.
Ihm kam es unverzeihlich dumm und wie eine sinnlose
Verschwendung vor, daß Grace nicht um Hilfe bitten wollte und daß ihr Vater sie ihr nicht von sich aus
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