Ghost
vergessen.
»Wahrscheinlich wird sowieso nichts draus«, sagte ich und trank einen Schluck Whisky.
Sie schaute wieder in den Fernseher, nur dass sie jetzt die Arme fest vor dem Bauch verschränkt hatte, was immer ein Warnsignal war. Der Ticker am unteren Bildschirmrand meldete, dass die Opferzahl jetzt bei sieben liege, Tendenz steigend.
»Aber wenn sie dir den Job anbieten, dann machst du es?«, fragte sie, ohne mich anzuschauen.
Eine Antwort darauf wurde mir erspart, da der Nachrichtensprecher ankündigte, sie würden jetzt für eine Stellungnahme des ehemaligen Premierministers live nach New York schalten. Und im nächsten Augenblick sah man Adam Lang an einem Rednerpult mit dem Schriftzug »Waldorf-Astoria« stehen, als hätte er gerade bei einem offiziellen Lunch das Wort ergriffen. »Sie werden alle die tragischen Nachrichten aus London vernommen haben«, sagte er, »wo die Mächte des Fanatismus und der Intoleranz wieder einmal ...«
Nichts von dem, was er an jenem Abend von sich gab, verdient es, gedruckt zu werden. Was er sagte, glich fast einer Parodie auf eine Politikerrede nach einer Terrorattacke. Trotzdem: Wenn man ihn beobachtete, hatte man glauben können, die Explosion hätte gerade die eigene Frau und die eigenen Kinder ausgelöscht. Darin lag seine Genialität: die Klischees der Politik durch die schiere Kraft seines Auftritts mit frischem Leben zu erfüllen und auf eine neue Ebene zu heben. Sogar Kate verstummte kurz. Erst als er fertig war und sich das hauptsächlich ältere, weibliche Publikum applaudierend erhob, murmelte sie: »Was macht er eigentlich in New York?«
»Vielleicht Vorträge halten.«
»Warum hält er die nicht hier?«
»Schätze, weil ihm hier niemand für eine Rede hunderttausend Dollar zahlt.«
Sie drehte den Ton ab.
»Es gab mal eine Zeit«, sagte Kate langsam nach einer Pause, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, »da hat man von Herrschern, die ihre Länder in den Krieg geführt haben, erwartet, dass sie in der Schlacht ihr eigenes Leben riskieren – Führen durch Beispiel eben. Heutzutage wird in gepanzerten Limousinen mit bewaffneten Bodyguards gereist und dreitausend Meilen weit weg ein Vermögen kassiert, während wir uns zu Hause mit den Folgen ihrer Taten herumschlagen müssen. Ich verstehe dich einfach nicht« Dann drehte sie sich um und schaute mich zum ersten Mal an diesem Abend richtig an. »Was ich dir in den letzten paar Jahren nicht alles über ihn erzählt habe, ›Kriegsverbrecher etc., etc.‹, und du hast dagesessen, hast genickt und ja, ja gesagt. Und jetzt schreibst du ihm seine Propagandamemoiren und machst ihm die Taschen noch voller. Hat nichts von alldem dir jemals irgendetwas bedeutet?«
»Moment mal«, sagte ich. »Das sagt die Richtige. Du bist monatelang hinter ihm her gewesen, um ein Interview zu kriegen. Wo ist da der Unterschied?«
»Wo da der Unterschied ist? Herrgott!« Sie ballte die schlanken weißen Hände, die mir so vertraut waren, und hob sie – halb Klauen, halb Fäuste – verzweifelt in die Höhe. Ihre Armmuskeln traten hervor. »Wo da der Unterschied ist? Wir wollen ihn zur Verantwortung ziehen ~ das ist der Unterschied! Wir wollen echte Fragen stellen! Über Folter, Bombardierungen, Lügen! Kein ›Was haben Sie dabei gefühlt?‹ Herrgott! Das ist doch alles Zeitverschwendung.«
Sie stand auf und ging ins Schlafzimmer, um die Tasche zu holen, die sie immer dabeihatte, wenn sie über Nacht bleiben wollte. Ich hörte, wie sie geräuschvoll Lippenstift, Zahnbürste und Parfumspray darin verstaute. Wenn ich jetzt zu ihr ginge, dann könnte ich die Situation noch retten, das wusste ich. Wahrscheinlich rechnete sie damit: Wir hatten schon schlimmere Kräche gehabt. Ich wäre genötigt gewesen einzuräumen, dass sie recht habe, hätte eingestehen müssen, dass ich für den Job ungeeignet sei, und hätte sie in ihrer moralischen und intellektuellen Überlegenheit in dieser Sache wie in allen Dingen bestätigen müssen. Dazu hätte es nicht einmal eines verbalen Geständnisses bedurft: eine bedeutungsvolle Umarmung hätte wahrscheinlich gereicht, um Bewährung zu erwirken. Aber die Wahrheit war, dass ich in diesem Augenblick, vor die Wahl gestellt zwischen einem Abend mit ihren blasierten linken Moralpredigten und der Aussicht auf die Arbeit mit einem sogenannten Kriegsverbrecher, den Kriegsverbrecher vorzog. Also schaute ich einfach weiter in den Fernseher.
Manchmal habe ich einen Albtraum, in dem sich alle Frauen versammeln,
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