Ghost
Verfasser von Christy Costellos nebulösen Memoiren so ziemlich der letzte Mensch auf Erden war, der das enthüllen würde.
Ich würde gern noch mehr schreiben, aber ich fürchte, wenn ich so auf die Uhr schaue, dass das genügen muss, zumindest vorläufig. Wie Sie sicher nachempfinden können, halte ich mich nicht gern zu lange an einem Ort auf. Ich spüre schon wieder, dass fremde Menschen anfangen, sich zu sehr für mich zu interessieren. Mein Plan ist, ein Päckchen mit einer Kopie dieses Manuskripts Kate zu geben. Ich werde es ihr durch den Briefschlitz werfen, in etwa einer Stunde, bevor noch irgendwer auf den Beinen ist, und ich werde ein Begleitschreiben mit der Bitte beilegen, das Päckchen nicht zu öffnen, aber sicher zu verwahren. Erst wenn sie binnen des nächsten Monats nichts von mir hört oder wenn sie erfährt, dass mir etwas zugestoßen ist, soll sie es lesen und darüber entscheiden, wie sie es am besten veröffentlichen kann. Sie wird mich für melodramatisch halten – zu Recht. Aber ich vertraue ihr. Sie wird es schaffen. Wenn es jemanden gibt, der hartnäckig und sturköpfig genug ist, das Ding zu veröffentlichen, dann Kate.
Ich frage mich, wohin ich als Nächstes fahren werde. Ich kann mich nicht entscheiden. Allerdings weiß ich genau, wohin ich am liebsten fahren würde. Das wird Sie vielleicht überraschen. Ich würde gern wieder nach Martha’s Vineyard fahren. Es ist jetzt Sommer, und ich habe das eigenartige Verlangen, diese verkrüppelten Straucheichen in vollem Grün zu sehen und den Jachten hinterherzuschauen, wenn sie unter vollen Segeln von Edgartown aus durch den Nantucket Sound gleiten. Ich würde gern den Strand in Lambert’s Cove wiedersehen, würde gern den heißen Sand unter den nackten Füßen spüren, den Familien beim Planschen in der Brandung zuschauen und meine Knochen in der warmen, klaren Sonne von Neuengland ausstrecken.
Das stürzt mich in ein gewisses Dilemma, wie Sie vielleicht verstehen werden, jetzt, da ich beim letzten Absatz angelangt bin. Soll ich zufrieden sein oder enttäuscht, dass Sie das alles jetzt lesen können? Zufrieden, was natürlich wäre, weil ich doch noch mit eigener Stimme sprechen kann. Oder enttäuscht, was naheliegend wäre, weil es wahrscheinlich bedeutet, dass ich tot bin. Aber wie hat meine Mutter immer gesagt? Man kann im Leben nicht alles haben.
ANMERKUNG DES AUTORS
Ich bedanke mich bei Andrew Crofts, der mir erlaubt hat, aus seinem exzellenten Handbuch Ghostwriter. Schreiben & schreiben lassen (Berlin: Autorenhaus Verlag, 2005) zitieren zu dürfen. Zwei andere erfolgreiche Ghostwriter, Adam Sisman und Luke Jennings, waren so freundlich, mich an ihrem Erfahrungsschatz teilhaben zu lassen. Philippe Sands QC half mir großzügig mit seinem Wissen über internationales Recht aus. Rose Styron machte mich über mehrere Tage mit Martha’s Vineyard bekannt: eine angenehmere und kenntnisreichere Reisefahrerin hätte ich nicht haben können. Die Hilfe und Motivation, die mir durch meinen amerikanischen Verleger David Rosenthal und meinen amerikanischen Agenten Michael Carlisle zuteil wurde, war noch größer als sonst. Jeder von beiden ist ihren in diesem Roman beschriebenen Pendants so unähnlich wie nur irgend möglich.
Robert Harris
Cap Benat, 26. Juli 2007
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