Ghost
konnte.
Aber McAra wusste noch mehr. Er wusste, dass Ruth als Fulbright-Stipendiatin in Harvard gewesen war, und es hätte ihn nur zehn Minuten im Internet gekostet, um herauszufinden, dass Emmett Mitte der Siebziger in Harvard ihr Spezialgebiet unterrichtet hatte. Besser als irgendwer sonst wusste er, dass Lang nur selten eine Entscheidung traf, ohne vorher seine Frau zu konsultieren. Adam war der brillante Verkäufer, Ruth war die Strategin. Wenn man hätte wählen müssen, wer von den beiden das Hirn, die Nervenstärke und die Rücksichtslosigkeit besaß, um Rekrut einer Ideologie zu sein, wäre die Entscheidung klar gewesen. McAra kann sich nicht hundertprozentig sicher gewesen sein, aber ich glaube, dass er genügend Teile des Puzzles zusammengefügt hatte, um Lang während ihres hitzigen Streits am Abend, bevor er sich auf den Weg machte, um Emmett zur Rede zu stellen, seinen Verdacht ins Gesicht zu schleudern.
Ich versuche mir vorzustellen, wie Lang auf die Anschuldigungen reagierte. Ablehnend, da bin sicher; und wütend. Aber als ein oder zwei Tage später ein Toter angeschwemmt wurde und er ins Leichenschauhaus fuhr, um McAra zu identifizieren – was hat er da wohl gedacht?
Fast jeden Tag höre ich mir die Aufzeichnung meines letzten Gesprächs mit Lang an. Darin verbirgt sich der Schlüssel zu allem, da bin ich mir sicher. Trotzdem bekomme ich die Geschichte nicht ganz zu fassen, ein winziger Teil bleibt mir auf quälende Weise verborgen. Unsere Stimmen sind dünn, aber verständlich. Im Hintergrund ist das Dröhnen der Flugzeugmotoren zu hören.
ICH: »Stimmt es, dass Sie einen ernsten Krach mit ihm hatten? Kurz vor seinem Tod, meine ich?«
LANG: »Mike hat wilde Anschuldigungen erhoben. Die konnte ich nicht so einfach übergehen.«
ICH: »Darf ich fragen, was das für Anschuldigungen
waren?«
LANG: »Ich ziehe es vor, sie nicht zu wiederholen.«
ICH: »Hatten sie etwas mit der CIA zu tun?«
LANG: »Ach, kommen Sie, das wissen Sie doch schon. Oder haben Sie sich etwa nicht mit Paul Emmett getroffen?«
[Pause, 75 Sekunden]
LANG: »Ich will, dass Sie eins verstehen. Alles, was ich getan habe, als Parteichef wie als Premierminister, habe ich aus Überzeugung getan ... alles ... weil ich geglaubt habe, dass es das Richtige ist.«
ICH: [Unverständlich]
LANG: »Emmett behauptet, dass Sie ihm Fotos gezeigt haben. Stimmt das? Darf ich sie sehen?«
Und dann sind eine Zeit lang, während er sich die Fotos anschaut, nur noch Motorengeräusche zu hören. Ich springe nun weiter zu der Stelle, wo er sich die Mädchen bei dem Picknick am Fluss genauer anschaut. Er hört sich unsagbar traurig an.
»An die kann ich mich erinnern. Und an die. Als ich Premierminister war, hat sie mir mal geschrieben.
Ruth war nicht gerade erbaut. O Gott, Ruth ...«
»O Gott, Ruth ...«
»O Gott, Ruth ...«
Ich spiele mir diese Stelle wieder und wieder vor. Nachdem ich sie mir so oft angehört habe, ist mir inzwischen völlig klar – wegen des Klangs seiner Stimme –, dass er sich in diesem Augenblick, als er an seine Frau denkt, ausschließlich Sorgen wegen ihr macht. Ich schätze, sie hat ihn an jenem Spätnachmittag in einem Anfall von Panik angerufen und ihm erzählt, dass ich bei Emmett gewesen sei und ihm ein paar Fotos gezeigt hätte. Die ganze Geschichte drohte aufzufliegen. Deshalb hat sie ihm wahrscheinlich gesagt, dass sie das unbedingt unter vier Augen mit ihm besprechen müsse, so schnell wie möglich. Deshalb auch die ganze Hektik, um so spät noch ein Flugzeug aufzutreiben. Wer weiß, ob sie Kenntnis davon hatte, was ihren Mann auf dem Rollfeld erwartete. Hatte sie sicher nicht, ist meine Meinung, obwohl die Fragen, wie es zu solchen Sicherheitsmängeln kommen konnte, nie völlig geklärt wurden. Was mich anrührt, ist der Umstand, dass Lang es nicht über sich bringt, den Satz zu beenden. »Was hast du getan?«, lauteten ohne Zweifel die Worte, die er im Geist anfügte. »O Gott, Ruth – was hast du getan?« Ich glaube, in diesem Augenblick nehmen in seinem Kopf all die Tage des Misstrauens schlagartig eine konkrete Form an, als er nämlich erkennt, dass McAras »wilde Anschuldigungen« sich schließlich doch als wahr herausstellen, und dass die Frau, die seit dreißig Jahren seine Frau ist, eine andere ist, als er geglaubt hat.
Kein Wunder, dass sie mich vorgeschlagen hat, um das Buch fertigzustellen. Sie hatte jede Menge zu verbergen, und sie war zuversichtlich, dass der
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