Ghosts 01 - Ghosthunter
schüttelte den Kopf. „Die Zeit vergeht so schnell. Ich weiß noch, wie ich mich Weihnachten 1990 mit deinem Vater hier getroffen habe.“ Sie verlor sich in ihren Gedanken.
Ian beobachtete sie aus dem Augenwinkel, während das Cabrio tiefer und tiefer in den dichten Wald fuhr. Er wusste noch immer nicht, was er von ihr halten sollte.
„In den Kisten sind nur ein paar alte Filme aus dem Urlaub und von Geburtstagen. Nichts Besonderes, aber ich habe sie mir bisher nicht angesehen. Eigentlich habe ich nur ein einziges Mal in die Schachteln geschaut. Ich habe sie lieber in meinem Seehaus eingelagert. Wohnungen rümpeln zu, wenn man sie nicht ab und an ausmistet. Genau wie Seelen.“
Die Hütte stand halb an Land, halb auf Pfählen im Wasser. Sie sah malerisch aus. Windschief und unberührt lag sie am Ende eines Trampelpfads.
„Himmel, wie sieht’s denn hier aus“, stöhnte Dr. Stratton und hielt vor zwei griechischen Statuen, die einst den Pfad zum Haus markiert hatten, nun aber durch die hohen Gräser beinahe nicht mehr zu sehen waren. Ian öffnete die Wagentür.
„Ihr könnt hier wohnen, wenn ihr wollt. Leider gibt es keine Busverbindung in den Ort. Ungefähr zwei Meilen weiter, dahinter –“ Sie zeigte über den See und zu fünf mächtigen Eichen. „Dort ist ein Bauernhof. Ihr könnt auch mit dem Boot hinüberfahren. Das geht schneller, als um den See zu laufen.“
„Wollen Sie nicht mit hineinkommen?“
Dr. Amy Stratton sah noch einmal zur Hütte, dann drückte sie seufzend ihre Zigarette aus. „Es hängen zu viele gute Erinnerungen an dem Häuschen. Es tut mir immer weh. Ich wollte die Hütte schon verkaufen, aber …“ Nachdem sie aus dem Kofferraum die Rucksäcke und drei Plastiktüten Proviant geholt hatten, verabschiedete sie die Psychiaterin.
Die beiden sahen ihr nach, blieben noch lange auf dem Pfad zwischen den Statuen von Ares und Athene stehen, bis der Wald ihr rotes Cabrio geschluckt hatte.
48
McMurdo-Station,
Antarktika
Der schwere Super Puma AS332 Transporthelikopter kreiste bereits seit einer halben Stunde wegen zu starker Böen über der weitläufigen Basis, als der Pilot endlich anzeigte, dass sie landen würden. Müde sah Daniel aus dem Helikopter auf die Bucht von McMurdo. Durch den Schnee konnte er türkise neben weißen und roten Rechtecken erkennen. Dächer und Container. Die Station am Schelfmeer war eine der Hauptversorgungsbasen der Antarktis. Das Logistik- und Forschungszentrum versorgte nicht nur die Amundsen-Scott-Base, sondern auch die Russen in ihrer Wostok-Station und einige andere Stützpunkte mit Ausrüstung und Lebensmitteln. Seit Mitte der 50er-Jahre, in denen die Station entstanden war, wurde sie Jahr für Jahr größer. Annähernd neunzig Gebäude bildeten an den Küstenstreifen ein Labyrinth aus Unterkünften, Laboren, Versorgungslagern und Tanks. Ein unübersichtliches Dorf mit schlammigen Pfaden und gewundenen Trampelpfaden mitten im weißen Nichts.
Die erste und längste Strecke hatten sie mit einer schweren Hercules-LC-130-Transportmaschine bewältigt, bevor sie in einer kleinen Station am Fuß des Transantarktischen Gebirges auf den Helikopter umgestiegen waren. Kaum in der Luft, hatte sich das Wetter verschlechtert.
Daniel musste gähnen. Seine Augen brannten vor Müdigkeit. Das ewige Sitzen, erst im Flieger, dann im Helikopter, und die Übernachtung in einem winzigen Zelt irgendwo im Gebirge hatten der Schnittwunde nicht gerade gutgetan. Gott sei Dank hatten sie es mit dem Super Puma bis in eines der dry Valleys geschafft, in ein Tal, das nahezu frei von Schnee und Niederschlägen war.
Sie landeten auf der Eispiste nördlich des Heli-Ports. Noch bevor die Rotoren ausgeschaltet waren, half Alva Daniel aus dem Helikopter. Er wollte sein Gepäck schultern, drohte aber wegen seines Beins das Gleichgewicht zu verlieren. Schnell packte Alva mit an und hievte den großen Rucksack auf seinen Rücken. Wie gerne hätte er ihr geholfen, statt auf seinem Skistock gestützt wie ein Rentner die Koffer getragen zu bekommen.
Verflixtes Bein, dachte Daniel, als er unter den Rotorblättern im grellen Licht der Scheinwerfer hindurch humpelte. Mit seinem Skistock, dem Rucksack und dem schweren Schneeanzug kam er kaum vorwärts. Noch dazu blendeten ihn die Strahler der Landebahn. Ihr grelles Licht erhellte eine Reihe Helikopter und Berge von Holzkisten und Versorgungscontainern, die sich am Rande des Flugfeldes stapelten. Daniel kniff die Augen zusammen, konnte sie
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