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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh
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schlurfte ins Zimmer zurück, wo er, nur mit Hemd und Boxershorts bekleidet, offenkundig auf dem Bett gelegen und ferngesehen hatte. Im Zimmer roch es ungelüftet und, was noch schlimmer war, nach Zigarettenrauch; auch jetzt rauchte er. Im Fernsehen liefen Nachrichten, schreckliche Bilder von Straßenkämpfen und behelmten Polizisten mit Schlagstöcken. Sie verstand außer dem mehrfach wiederholten Wort   Grecia   nicht, worum es ging; es interessierte sie nicht.
    Das Zimmer war das ganze Gegenteil vom Méridien: eine billige Absteige. Die Möbel alt und voller Schrammen, die Tischfläche blind, der Teppich durchgetreten. Ein Zimmer wie für Menschen, die auf der   Flucht   waren.
    Sie trat langsam ein. »Bist du verprügelt worden?«
    Bernhard antwortete nicht. Er hatte sich wieder auf das Bett gelegt und starrte weiter auf den Fernseher; eine Hand hielt eine qualmende Zigarette. Sie wartete auf eine Antwort, eine Reaktion, irgendwas.
    »Ich bin um deinetwillen gekommen, Bernhard.«
    Die Asche auf der Zigarette türmte sich langsam zu einer fragilen Architektur. »Hörst du?« Dann, nach einer viel zu langen Pause, endlich ein Beweis dafür, dass er ihr Hiersein akzeptiert hatte: »Ja.«
    »Brauchst du was? Willst du zu einem Arzt?« Sie ging zum Fußende des Bettes und setzte sich auf den orientalisch gemusterten Überwurf, den Bernhard achtlos ans Ende des Bettes geknäuelt hatte. Die Fernbedienung lag auf dem Laken; ohne sie aufzunehmen, drückte sie den roten Knopf.
    Er hob leicht den Kopf, um in ihre Richtung zu sehen. »Geld«, sagte er; seine Stimme klang heiser. »Hast du Geld?«
    Sie musste unwillkürlich lachen.
    »Was soll das Gekicher?«
    »Dass du mich nach Geld fragst. Ich meine, wie viel Geld hast du … an dich gebracht. Zehn Millionen? Zwanzig?«
    »Das ist Guthaben. Ich rede von Geld.«
    »Ist das ein Unterschied?«
    Er antwortete nicht. Sie war verwirrt; als sie durch diese Tür gegangen war, hatte sie gehofft, dass die Situation, die Stimmung, die Schwingungen innerhalb des Raums ihr signalisieren würden, wie sie sich darin bewegen konnte. Doch nun fühlte sie sich, als würde sie im Vakuum mit Flügeln schlagen.
    »Brauchst du einen Aschenbecher?«
    Er sah auf die Zigarette, schnippte die Asche auf den Fußboden und nahm dann den Aschenbecher von der Nachtkonsole, um die Kippe auszudrücken. Bei alldem würdigte er sie keines Blickes.
    »Warum gehst du nicht zum Automaten?«, versuchte sie es wieder.
    »Hab keine Karte mehr.«
    »Was ist damit passiert?«
    »Keine Ahnung. Aufgegessen.«
    »Kannst du mir eine vernünftige Antwort geben? Ich bin den weiten Weg …«
    Er fuhr auf; nur einen winzigen Moment. »Ich hab dich nicht darum gebeten!« Er drapierte ein Kissen in seinen Nacken und rutschte höher. Als er ostentativ die Arme vor seiner Brust verschränkte, dachte sie, dass dies alles ein Spiel war – ein sehr altes, sehr vertrautes Spiel zwischen ihnen, das etwas anderes bedeutete als das, was seiner Oberfläche scheinbar abzulesen war. Es war keine Überzeugung; eher eine Hoffnung. Sie hatte das schon oft gehofft.
    »Warum bist du überhaupt hier?«, fragte Bernhard.
    »Das … ich verstehe nicht, Bernhard. Das habe ich doch schon gesagt. Deinetwegen.«
    »Wer hat dich geschickt?«
    »Niemand. Niemand hat mich geschickt. Wie kannst du das denken? Freust du dich nicht?«
    »Doch. Wahnsinnig.«
    »Du wolltest mich nicht verlassen.« Sie hatte das gesagt, ohne dass ihr Kopf zuvor eine Einwilligung dazu gegeben hatte. Sie wusste nicht, woher dieser Satz kam, er hatte sich von allein seinen Weg nach draußen gebahnt. Jetzt erschien er ihr unglücklich. Als sie diese Tatsache akzeptiert hatte, hörte sie Bernhard schnaufen. Vielleicht war es eher ein verunglücktes Lachen.
    »Geht es dir wirklich gut?«, fragte sie mit besorgter Stimme und zog sich weiter auf das Bett, so dass sie nun mit angezogenen Beinen am Fußende saß. »Das ist alles so … verrückt.«
    Er sagte nichts.
    »Ich weiß, wovor du weggelaufen bist.«
    »Wovor bin ich weggelaufen?«
    »Du bist vor dem unmenschlichen Zwang davongelaufen«, sagte sie und streckte ihre Hand nach ihm aus, »das bestmögliche aller Leben führen zu müssen.«
    Er lachte, schwach. »Hast du dir das aufgeschrieben? Hast du dir   das alles   hier vielleicht schon aufgeschrieben?«
    Sein Gedanke berührte sie, und einen Moment lang fühlte sie Erleichterung und beinahe Stolz, dass er ihre Berufung endlich anerkannte – eine Anerkennung,

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