Gibraltar
bereits seit einer geraumen Zeit ungeduldig ansah.
2
Als sie aus dem Terminal ins Freie trat und sah, dass sie wieder Netzempfang hatte, versuchte sie sofort, Valerie anzurufen, doch es kam keine Verbindung zustande. Ihr fiel ein, dass sie die Nummer mit der Ländervorwahl versehen musste, dann probierte sie es noch mal; jetzt stellte sie fest, dass Valerie ihr Telefon ausgeschaltet hatte. Sie probierte es bei Thomas, doch es klingelte so lange, bis die Mailbox ansprang. Sie hinterließ ihm die Bitte, dringend zurückzurufen, und schickte ihm zur Sicherheit noch eine SMS gleichen Inhalts.
Die Leihwagen standen in einer wenig genutzten Straße des Flughafengeländes in einer langen Reihe, die sich bis in die Dunkelheit einer Parkgarage erstreckte. Aus irgendeinem Grund waren diese Katakomben unbeleuchtet. Überhaupt erschien Carmen das gesamte Areal unfertig, ja unerklärlich abweisend. Hinter einem Wellblechverschlag wurde gebaut; allerdings waren keine Arbeiter zu sehen. An einem Kran hing, wie vergessen, ein Eisenträger, der sich im aufkommenden Wind langsam um die eigene Achse drehte. Die Sonne war hinter einer dunklen Wolkendecke verschwunden, wodurch der Platz in ein eigenartiges Zwielicht getaucht war. Ihr wurde bewusst, dass sie sich im Moment völlig allein in diesem Teil des Flughafens befand.
Das Cabriolet, das sie suchte, musste im Inneren stehen, wohin nur fahles Licht drang … zu wenig, um die Kennzeichen mit der Nummer auf ihrem Schlüsselanhänger zu vergleichen. Trotz ihres Unwohlseins ließ sie sich jedoch weiter in das höhlenartige Dunkel ziehen. Es war still dort, lediglich die Rollen ihres Koffers auf den ungleichmäßig verlegten Betonplatten waren zu hören.
Als der Schatten der Garage sie vollständig verschluckt hatte, hörte sie plötzlich Schritte hinter sich. Sie drehte sich um und sah die Kontur eines Mannes, die sich vor dem einfallenden Licht abzeichnete. Unwillkürlich dachte sie an Gudvang, an alles, was sie ihm in den letzten zwei Stunden aus irgendwelchen Gründen anvertraut hatte. Warum nur? Sie wusste es nicht, und in diesem Moment, ängstlicher jetzt, verfluchte sie sich, wie schon so oft, für ihre eitle Geschwätzigkeit. Augenblicklich begann sie zu zittern, und jede Spur von Euphorie oder gar Triumph war verflogen.
Sie ließ sich ihre Furcht nicht anmerken und beschleunigte ihren Schritt. Gleich würde sie das Cabrio erreichen und sich in Sicherheit befinden. Die Schrittfolge des Mannes war absolut synchron zu ihrer, so als legte er es darauf an, sich darin gleichsam verborgen zu halten. Plötzlich kam es ihr absurd vor, Gudvang – wenn es Gudvang war – davonzulaufen. Sie blieb stehen und drehte sich um. »Herr Gudvang, sind Sie das?«
Doch der Mann antwortete nicht, sondern setzte seinen Weg fort, ohne sein Tempo zu verändern. An der Art, wie er sich bewegte, an seiner Silhouette im Gegenlicht sah sie jetzt, dass es nicht Gudvang sein konnte. Er wirkte jünger, größer und kräftiger als dieser; in seiner breitschultrigen, bedrohlichen Haltung erinnerte er viel eher an … Bernhard.
Sie schloss die Augen. Der Mann würde sie in wenigen Sekunden eingeholt haben und sie mühelos überwältigen. Niemand würde ihren erstickten Schrei hören, wenn er sie zu Boden ringen und sich auf sie knien würde.
»Nicht«, flüsterte sie, als geschehe dies bereits, und drückte dabei wie traumverloren die Fernbedienung an ihrem Schlüsselanhänger, »nicht …« Da sah sie, nur drei Meter vor ihr, wie die Warnlichter des Cabrios aufleuchteten und sich das Gefährt wie zum treuen Dienst meldete. Im gleichen Moment hatte der Mann, der sie zu verfolgen schien, zu ihr aufgeschlossen: Es war ein ihr völlig unbekannter Spanier, der sie freundlich grüßte und in die Limousine vor ihrem Cabrio stieg.
Mit zittrigen Fingern zog sie den Türgriff, wuchtete schnell ihren riesigen Koffer auf den Beifahrersitz, ließ sich in den Sitz fallen und zog die Tür hinter sich zu. Sie sah in den Spiegel, blickte in ihr Gesicht. Es war seit dreiundvierzig Jahren ihres; sie würde es in diesem Leben nicht mehr loswerden.
Als der Renault aus der Garage schoss, sah Carmen, dass das milchige Tageslicht sich inzwischen in einem Grauschleier aus strömendem Regen aufgelöst hatte. Dicke Tropfen schlugen auf die Windschutzscheibe und das Verdeck, und sie war froh, dass sie ihrem Impuls gefolgt war, es nicht im Heck zu versenken, obgleich dazu ein kleiner Knopf an den Armaturen eingeladen
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